Heimgesucht

An allem war ich erkrankt. Heimgesucht von Vergessen und falschen Erinnerungen. Ich war dem Leben abhanden gekommen. In meinen Händen hielt ich Luft und fremde Worte. Die Schmerzen umspielten mich, unterhielten mich, wie eine etwas zu ernst gemeinte Umarmung wiegten sie mein Leben von Punkt eins bis zehn. Es gab keine Auswege und die Abwege wagte ich nicht zu betreten. Ich war ein Formfehler, dessen Figur aus dem Ruder lief. Ich rief nicht um Hilfe. Rief nicht einmal meinen Namen. Und meine Grenzen nannte ich Flucht.

21 Gedanken zu “Heimgesucht

  1. Ich falle in deinen Text und in meine Erinnerungen an eben solche Zustände, wenn ich mich dem Leben abhanden gekommen fühle.
    Können Erinnerungen falsch sein? Ja, sie sind eingefärbt vom eigenen Empfinden, sprechen letztlich immer nur von einem selbst und haben damit keine Allgemeingültigkeit, gerade darum sehe ich kein Falsch …

    herzliche Grüße
    Ulli alias Frau Blau

    1. ich denke jetzt seit gestern darüber nach, ob „falsch“ tatsächlich ein schlecht gewähltes adjektiv ist. es sind verfälschte erinnerungen, die gemeint sind, solche, die nur eine seite sehen, möglicherweise sogar eine, die „objektiv“ gar nicht vorhanden ist. so entsteht ja wirklichkeit. aus dem „falschen“ ebenso wie aus dem „richtigen“.

      1. nimms als kompliment: wenn du sinnliche wahrnehmungen auszulösen vermagst mit deinen texten, ist das doch großartig ohne wenn und aber.
        ich vermute, dass du texte, die du liest, manchmal auch körperlich spürst. sind das nicht die texte, die besonders hängenbleiben?

  2. Ein Trost dass von Vergangenem geschrieben steht und die Schreiberin auf die Situation aus anderer Position zurückblicken kann. Ein Bergauf nach einem Bergab.

  3. Ich glaube, Erinnerungen können nicht falsch sein. Ein Fehler ist es, über den „Wahrheitsgehalt“ einer Erinnerung mit einem Gegenüber zu verhandeln. Es sind höchst persönliche Sachen, die da geschehen. Ich halte es für besser Erinnerungen mit denen eines Anderen zu vergleichen. So kann man sich austauschen und produktiv kommunizieren. Dabei ist es nicht zwingend, dass der Andere da ist. Oft ist das ja auch gar nicht möglich.

    1. mit dem was du schreibst, hast du ganz sicher recht. nur ging es mir um etwas anderes, nicht darum vergleichbare erinnerungen als richtig oder falsch zu klassifizieren, sondern um erinnerungen, die dem selbst gut tun und andere, die ihm schaden, es quälen…

      1. Niemand verdient es gequält zu werden. Und schon gar nicht von sich selbst. Keine Frage, es gibt solche Erinnerungen an Erlebnisse, die Schaden anrichten können. Das aber tun sie gerade, wenn man sie für falsch hält oder unterdrückt.

      2. deine antwort finde ich sehr interessant. gerade weil ich sie an einigen stellen anzweifle. verdient es wirklich niemand, von seinen erinnerungen und von sich selbst gequält zu werden? vielleicht muss man für manche taten erst büßen, bevor man sich weiterentwickeln kann. in dieses konzept passt aber gar nicht mehr der ausdruck „falsch“ aus dem ursprünglichen text. das ist wahr. und seltsam, ich verbinde mit dem „falsch“ eher die hoffnung, dass alles vielleicht doch nicht so gewesen ist, dass es irgendwann die möglichkeit geben wird, es anders zu sehen, während ich aus deiner antwort das gegenteil herauslese.

      3. Man muss Dinge verarbeiten. So weit so klar. Aber für mich bleibt es ganz wichtig: niemand hat es verdient, gequält zu werden. Er wird sich dann nicht weiter entwickeln. Er wird verkümmern. Die Kraft zu büßen nährt sich gerade auch im Vergleichen der subjektiven Erfahrungen. Dazu muss ich sie erst annehmen: die eigenen und die, des Gegenübers.

  4. An die Protagonistin, die nicht die Autorin sein muß:
    Eingetaucht in
    deine Heimsuchung
    Grenzen als Flucht
    sehen sie in dein
    Herz nehmen bin ich
    mit dir

    LG Hanna

  5. Zum Thema Erinnerung las ich gerade eine Stelle bei Teju Cole, die mich sehr angesprochen hat: „Die Vergangenheit… ist vor allem leerer Raum, eine Weite des Nichts, darin schwebend ein paar relevante Personen und Ereignisse…, an die ich mich mit übertriebener Intensität erinnerte; …die in ihrer Gesamtheit eine festgelegte Version der Vergangenheit bildeten.“ Ich würde das weder falsch noch verfälscht nennen sondern eine Frage der individuellen Wahrnehmung vielleicht, die ihrerseits von so vielen anderen Faktoren abhängt.

    1. das ist alles richtig. und sowohl du als auch teju cole haben recht, aber nichtsdestotrotz gibt es erinnerungen, die eine heimsuchen können, und die kleine hoffnung, dass diese erinnerungen vielleicht nicht ganz wahr sind, sondern wenigstens ein bisschen falsch…

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