(68.1)

Was den Eintrag (68) angeht hätte ich auch einfach schreiben können; ich kapituliere vor der Komplexität der Welt, vor den Aufgaben und Zuständen und Krisen. Ich habe mich noch nie im Stande gefühlt, Lösungen zu finden, aber eine Zeitlang habe ich mich bemüht, eine Haltung zu den Fragen einzunehmen, eine, die nicht zu starr war, beweglich genug um zu reagieren, auf Gegenargumente, auf Wendungen und Änderungen, die aber auch standhaft genug war, mich nicht umzuwerfen beim geringsten Widerspruch, einer gerunzelten Stirn des Gegenübers widerstehen konnte. Heute rede ich mir ein, das sind Dinge für die mir die Kraft fehlt, die Kraft zu verstehen und so lange zu fragen, bis sich etwas wie eine Haltung zwangsläufig ergibt. Ich wäge jedes Wort ab, und jedes Wort ist entweder zu leicht oder zu schwer. Ich gebe auf. Und der Punkt, so scheint es mir heute, ist, dass ich nicht mich aufgebe, sondern die Herausforderung, mich der Zeit zu stellen, wie sie eben ist. Schwierig, komplex, eine, die mich herausfordert.

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Verstehen

Dinge verstehen. Andere Dinge, die man einmal verstanden hat, aus dem Gehege des Verständnis entlassen. Sich selbst verlieren im Denken und das als einen kleinen Splitter der Wahrheit betrachten.

Heji Shin – Baby

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Heji Shin, 1976 in Seoul geborene und heute in New York lebende Künstlerin hat Nikola Dietrich für mich entdeckt, in dem wunderbaren Band „I love women in Art“. Bereits beim flüchtigen Durchblättern des schönen Bandes bin ich sofort an ihrerm „Baby 7, von 2016 hängen geblieben.

Es ist ein sehr intimes Bild. Es ist ein rohes Bild, man sieht Blut und völlig Erschöpfung, man sieht die Zerbrechlichkeit des Babies und die Gewalt und Grausamkeit der Geburt. Vor allem aber sehe ich den Moment des Übergangs vom noch nicht auf der Welt sein zum auf die Welt kommen.

Was die Fotos so verstörend und gleichzeitig bezaubernd, oder sollte ich schreiben: wichtig, elementar macht, ist die Tatsache, dass sie in aller Deutlichkeit zeigen, wie sehr Sterblichkeit und Leid von Anfang an unser Leben begleiten, wenn nicht bestimmen. Ihre Baby Serie zeigt Fotos, die genau diesen Zwischenzustand zwischen nicht mehr und noch nicht aufzeigen, diesen Übergang von einer Sphäre zur nächsten, ein Übergang über den wir selten reden, weil wir es nicht können, oder weil es so schwer ist, dass wir es nicht einmal versuchen. Die Transformation vom noch nicht auf der Welt sein und diejenige vom die Welt verlassen. Denn diese zweite Ebene spielt für mich wesentlich hinein in die zutiefst berührenden, fesselnden und abstoßenden Fotos von Heji Shin. Es sind Fotos, die Grenzen aufbrechen, Tabus. Die Gesprächsräume öffnen, gerade weil sie wissen, dass der Andrang in diese Räume bestenfalls zögerlich erfolgen wird.

Die Bilder von blutigen Babies, so sagt sie in einem Interview, das auf Fräulein Magazin nachzulesen ist, waren in ihrem Kopf, ohne dass sie sich an einen besonderen Impuls dafür erinnern konnte. Fortan sprach sie schwangere Mütter an, unbekannte Frauen mit dickem Bauch, mitten auf der Straße. Wenig erstaunlich hatte sie weder bei diesen Versuchen Erfolg, noch als sie später in Geburtsvorbereitungskursen, Schwangerenyoga und all diesen Orten, an denen sich speziell Schwangere aufgrund ihrer Schwangerschaft und der bevorstehenden Geburt aufhalten. Mehr Glück hatte sie dann schließlich als sie Kontakt zu einigen Hebammen aufnahm, die sie für ihr Projekt gewinnen konnte, und die wiederum einige der Mütter überzeugen konnten.

Shin betont, dass die Fotos nur einen Aussschnitt zeigen, nicht Abbild einer irgendwie gearteten allgemeingültigen Wirklichkeit sind. Sie sind Entscheidungen der Künstlerin und sie sind aus dem Zusammenhang gerissene besondere Momente. Dennoch sind sie außerordentlich wahrhaftig.

Grenzen/Aufrichtigkeit – vielleicht auch Grenzen der Aufrichtigkeit

Die körperliche Reaktion auf einen Text, und die Bedenken, die eigenen Zweifel usw., die etwas aussagen über die Gegenwart.

Was „formstrenges Denken“ ist. Woran man denkt, und welchen Gedanken man nachgeht. Und ob sich das lohnt. Ob es richtig ist. Weiter führt. Etwas öffnet. Formstreng gegenüber aufrichtig. Eine Frage der Haltung.

Bücher und Texte, die die Leserin angreifen, weil sie konsequent sind. Zu sich stehen. Weil sie hinabtauchen in einen Bereich, in dem alles mit allem verbunden ist?