Eigenarten

Meine Kinder sprechen kaum noch mit mir. Wir haben jetzt exakt die Situation hier, die ich aus Filmen schon lange als „Hotel Mama“ kenne. Ich wasche, putze, koche und bin im übrigen unsichtbar. Es ist nicht so, dass mich das alles überrascht, es kommt auch nicht wirklich plötzlich. Schön ist es trotzdem nicht.

Es ist eine andere Art der Unsichtbarkeit als die, die ich letzten Freitag wieder auf einer Gemeinschaftslesung erlebt habe. Anders, aber in einigen Facetten doch sehr ähnlich. Alles andere ist wichtiger, interessanter als ich. Am Freitag waren das die anderen Texte. Dabei war ich wirklich gut. Inzwischen habe ich mir angewöhnt auch etwas zu den einzelnen Gedichten zu sagen, ich bin nicht aufgeregt, ich kann sogar manchmal fast lustig sein. Wie gesagt, ich war ganz gut. Sansibar ja sowieso. Der kann ja gar nicht anders. Aber irgendwie hat es keiner gemerkt. Ich habe mich mit meinen Kollegen unterhalten, bis jemand aus dem Publikum zu ihnen kam, um ihnen zu sagen, wie grandios, lustig, unterhaltsam etc. pp. ihr Beitrag gewesen ist, und ich das Feld räumte, um zu einer anderen Kollegin zu gehen, die ihr begeistertes Publikum gerade verlassen hatte. Manchmal denke ich nach solchen Ereignissen, ich sollte doch wieder Prosa schreiben, denn da liegt ja mein Anfang. Ich habe lange nur Prosa geschrieben und bin erst relativ spät zur Lyrik gekommen. Aber zum Glück geht das vorbei. Etwas schreiben von dem man annimmt, dass es dem Publikum gefällt, also ehrlich; dann kann ich es auch gleich bleiben lassen. Oder Texterin werden, im Auftrag Geburtstagsgedichte schreiben oder so etwas.

Und außerdem ist das ja auch nicht die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit über diesen Abend, aber eben nicht die ganze Wahrheit über meine Lesungen. Ende April z.B. habe ich vor relativ wenig Publikum aus Sansibar gelesen und daraus hat sich eine Einladung zu einer Lesung ergeben, die morgen stattfinden wird. Wir gefallen eben nicht jedem, Sansibar und ich. Und das ist auch gut so.

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Heji Shin – Baby

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Heji Shin, 1976 in Seoul geborene und heute in New York lebende Künstlerin hat Nikola Dietrich für mich entdeckt, in dem wunderbaren Band „I love women in Art“. Bereits beim flüchtigen Durchblättern des schönen Bandes bin ich sofort an ihrerm „Baby 7, von 2016 hängen geblieben.

Es ist ein sehr intimes Bild. Es ist ein rohes Bild, man sieht Blut und völlig Erschöpfung, man sieht die Zerbrechlichkeit des Babies und die Gewalt und Grausamkeit der Geburt. Vor allem aber sehe ich den Moment des Übergangs vom noch nicht auf der Welt sein zum auf die Welt kommen.

Was die Fotos so verstörend und gleichzeitig bezaubernd, oder sollte ich schreiben: wichtig, elementar macht, ist die Tatsache, dass sie in aller Deutlichkeit zeigen, wie sehr Sterblichkeit und Leid von Anfang an unser Leben begleiten, wenn nicht bestimmen. Ihre Baby Serie zeigt Fotos, die genau diesen Zwischenzustand zwischen nicht mehr und noch nicht aufzeigen, diesen Übergang von einer Sphäre zur nächsten, ein Übergang über den wir selten reden, weil wir es nicht können, oder weil es so schwer ist, dass wir es nicht einmal versuchen. Die Transformation vom noch nicht auf der Welt sein und diejenige vom die Welt verlassen. Denn diese zweite Ebene spielt für mich wesentlich hinein in die zutiefst berührenden, fesselnden und abstoßenden Fotos von Heji Shin. Es sind Fotos, die Grenzen aufbrechen, Tabus. Die Gesprächsräume öffnen, gerade weil sie wissen, dass der Andrang in diese Räume bestenfalls zögerlich erfolgen wird.

Die Bilder von blutigen Babies, so sagt sie in einem Interview, das auf Fräulein Magazin nachzulesen ist, waren in ihrem Kopf, ohne dass sie sich an einen besonderen Impuls dafür erinnern konnte. Fortan sprach sie schwangere Mütter an, unbekannte Frauen mit dickem Bauch, mitten auf der Straße. Wenig erstaunlich hatte sie weder bei diesen Versuchen Erfolg, noch als sie später in Geburtsvorbereitungskursen, Schwangerenyoga und all diesen Orten, an denen sich speziell Schwangere aufgrund ihrer Schwangerschaft und der bevorstehenden Geburt aufhalten. Mehr Glück hatte sie dann schließlich als sie Kontakt zu einigen Hebammen aufnahm, die sie für ihr Projekt gewinnen konnte, und die wiederum einige der Mütter überzeugen konnten.

Shin betont, dass die Fotos nur einen Aussschnitt zeigen, nicht Abbild einer irgendwie gearteten allgemeingültigen Wirklichkeit sind. Sie sind Entscheidungen der Künstlerin und sie sind aus dem Zusammenhang gerissene besondere Momente. Dennoch sind sie außerordentlich wahrhaftig.

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Ich will immer so viel, alles auf einmal, und dann – natürlich – gelingt nichts. Ich weiß das, und nicht erst seit gestern, trotzdem komme ich Tag für Tag weniger dagegen an. Gestern habe ich mir meine Einsamkeit eingestanden. Eins der letzten Tabus unserer Tage – obwohl ich auch solchen Formulierungen misstraue. Vermutlich gibt es viel mehr Tabus als wir wissen, sobald wir erkennen, da ist ein Tabu, ist es ja bereits auf dem Weg diesen Status zu verlieren. Auch wenn das länger als ein Menschenleben dauern kann. Das Verrückte bei mir ist ja, dass ich einsam bin, aber nicht sicher, ob ich darunter leide, oder ob ich nur darunter leide, dass ich auch in diesem Punkt einfach nicht der gesellschaftlichen Norm entspreche. Ich habe das meinen Kindern nie bieten können: große ausgelassene Familienfeste, weil der Teil der Familie zu der ich Kontakt habe sehr klein ist, und besonders ausgelassen sind die wenigsten von ihnen. Einmal habe ich eine größere Geburtstagsfeier veranstaltet, vielleicht 15 Menschen waren da, es war sogar sehr schön, das waren Leute, die ganz unterschiedlich waren, und doch haben sich alle gut miteinander unterhalten, aber gleich zu Anfang der Feier hat sich mein jüngster Sohn verletzt und mein Mann musste mit ihm in die Notaufnahme fahren. Es war dann nicht schlimm, die Wunde wurde verarztet und danach war er fröhlich wie immer, aber trotzdem war das die letzte größere Feier. Das liegt nicht daran, dass ich nicht gerne Gäste habe. Ich habe gerne Gäste. Aber offensichtlich habe ich keine Begabung, Freundschaften zu pflegen, so zu pflegen, dass sie unterschiedliche Lebensphasen und viele Jahre überleben. Also gehen sie ein die Freundschaften, ohne großen Krach meistens (das gab es auch, aber extrem selten), oder vegetieren so vor sich hin, man kennt sich schon ewig, also denkt man gegenseitig an die Geburtstage, wünscht sich frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr, und ab und zu versucht man sich noch einmal zu verabreden, um dann zu merken, eigentlich hat man sich längst nichts mehr zu sagen.

Und jetzt möchte ich etwas anfangen mit dieser Erkenntnis, dass ich so schlecht darin bin, Freunde zu behalten und vielleicht noch schlechter darin, neue Freundschaften zu schließen, aber es geht nicht. Ich erinnere mich an meine letzte Reha, wie überall um mich herum Grüppchen entstanden, wenigstens Kurzzeit Zweckfreundschaften, und ich wieder einmal merkte, dass ich irgendwie nirgendwo dazu gehöre, dass ich nicht kompatibel bin. Und wenn ich ganz ehrlich bin, fühle ich mich dann nicht einsam, sondern falsch, ich schäme mich, dass ich so anders bin. Und wirklich: am meisten schäme ich mich dafür als Mutter. Ich hatte immer diesen Traum von einem großen offenen Haus, in dem ständig Menschen ein und aus gehen, Zeit miteinander verbringen, Gespräche führen. Aber die kurze Zeit, während der unser Küchentisch wirklich voll war, fast jeden Tag, und ein reges Kommen und Gehen herrschte, verdanke ich meinen Kindern. Es waren ihre Freunde, die hier ein – und ausgingen.

Und vielleicht bin ich also gar nicht einsam, sondern habe nur die falschen Ansprüche an mich. Ich will so viel und dann gelingt nichts? Möglicherweise ist nichts verkehrt daran, so zu sein. Nur den falschen Ansprüchen hinterher zu rennen, die eigentlich gar nicht die eigenen sind.

(15)

Nach der Lesung, die ich im Netz gesehen habe, noch einmal Benjamin Maack gelesen, und mich wiedergefunden: das schlechte Gewissen, dass wir nicht die Eltern sein können, die unsere Kinder verdient hätten. Diese endlose Scham, sie in das eigene Versagen mit hinein zu ziehen. Nicht zu genügen, wieder einmal versagt zu haben. Und davor die quälend lange Zeit, in der wir nur funktioniert haben, weil wir uns dieses Versagen nicht eingestehen konnten, weil es auf keinen Fall sein durfte, dass wir unsere Kinder dermaßen enttäuschten. Reiß dich zusammen sagten wir uns, bis wir endgültig nichts mehr fühlen konnten. Und nicht einmal mehr funktionieren.

M is for mother

Wie macht man das, fragt das Kind- wie wächst man über sich hinaus? Und wo ist man dann? Im Himmel? Bei Sonne und Mond? Und wo bleibt das, worüber man hinaus gewachsen ist?

Lass es gut sein, sagt die Mutter und schließt müde die Tür.

Mutterschaft – immer wieder

In der neuen Edit ein großartiger Chor der Mütter. Fragmente, Überlegungen, die mich dazu bringen, selbst noch einmal über Mutterschaft nachzudenken. Wie wenig sich verändert hat zwischen dieser Generation Mütter, die jetzt sprechen und mir, und wie wenig. Die Müdigkeit, das Vergessen. Wie das wieder kehrt, im Laufe der Mutterschaft. Nur aus anderen Gründen. Aus Gründen hinter die ich nicht komme, während die anderen sich ausgewachsen haben.
Und dann dieses alles erstickende Gefühl des Versagens als Mutter. Habe ich je etwas wirklich gut gemacht? So, dass die Kinder sich mit einem guten Gefühl, vielleicht sogar mit so etwas wie Dankbarkeit, jedenfalls Freude daran erinnern werden? Stellen sich Väter solche Fragen eigentlich auch?

Was man weiß oder im Titel finden bin ich miserabel

In meinem letzten Eintrag hatte ich mir Fragen gestellt zu Kinderwunsch und Elternschaft, wie das alles persönlich erfahren wird, und was es eventuell über uns als Gesellschaft aussagt. Ein Vater hat geantwortet, sonst war es eher still, um nicht zu sagen stumm. Darum beantworte ich jetzt die Fragen aus meiner eigenen kleinen Perspektive. Und hoffe weiter, dass vielleicht doch noch die eine oder der andere seine Geschichte erzählen mag.

Ich habe tatsächlich sehr wenig über das Leben mit Kindern gewusst, bevor ich selbst Mutter wurde. Da war keine ältere Schwester und die Cousinen hatten ihre Kinder bekommen, als ich in ganz anderen Welten unterwegs war. Freundinnen, die Kinder hatten gab es auch nicht, oder aber sie verschwanden aus dem Freundeskreis, sobald das Kind da war.

Zum Kinderwunsch gibt es zwei Erinnerungen. Eine davon kommt mir selbst unglaubwürdig romantisch vor, aber ich erinnere es genau so. Ich war vielleicht 19 oder 20, als ich irgendwo im Gedränge der Einkaufsstraße eine Frau sah, die einen unglaublichen Gesichtsausdruck hatte, vollkommen in sich ruhend, glücklich, zuversichtlich, aber all diese Adjektive treffen es nicht wirklich, vielleicht müsste ich so ein Wort wie „erleuchtet“ bemühen. Jedenfalls machte sie auch ohne das passende Adjektiv einen sehr großen Eindruck auf mich. Und diese Frau war schwanger. Irgendwie muss ich den dicken Bauch und das erleuchtete Gesicht zusammengebracht haben und von da an hatte ich diese Überzeugung, dass es nichts Schöneres, Erfüllenderes und Erstrebenswerteres gibt, als schwanger zu sein. Auch wenn das noch Zeit hatte.

Die zweite Erinnerung: ich bin mittlerweile Ende 20, Anfang 30. Immer häufiger fragen mich Kinder, ob ich denn selbst auch Kinder hätte, und jedes Mal schäme ich mich, wenn ich nein sagen muss. Warum ich mich schäme? Das frage ich mich bis heute selbst.

Und was die Rechenschaft angeht, natürlich haben wir früher, in den 80er gesagt, geht gar nicht Kinder in diese kaputte Welt zu setzen. Unverantwortlich. Und dann nicht mehr darüber gesprochen, wenn die Kinder da waren. Oder auf einer ganz anderen Ebene darüber geredet. Dabei war die Welt kein bisschen besser geworden, nur wir vermutlich bequemer, oder einfach älter. Das auf jeden Fall. Es gibt ja diese Theorie, dass wir Kinder als Verlängerung unserer selbst in die Zukunft, die wir selbst nicht mehr erleben werden, betrachten. Dieser Gedanke ist mir eigentlich fremd.

Andreas schreibt von der Korrektur der eigenen Kindheit. Da ist etwas dran. Ich kann mich jedenfalls noch gut erinnern, wie häufig ich während meiner Kindheit und noch viel häufiger in der Pubertät gedacht habe; das werde ich niemals tun, ich werde meine Kinder ganz anders behandeln. Und das habe ich auch getan, und natürlich auch wieder nicht.

Die Antwort einer Bekannten ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben, weil ich erstens sicher bin, dass sie jedes Wort genauso gemeint hat, und weil ich zweitens kein Wort davon glaube, was sie gesagt hat. Ich glaube, dass ich meinen Kindern eine wirklich gute Mutter bin, hat sie gesagt, dass sie es kaum besser haben können, dass ich das kann, Kinder glücklich aufwachsen lassen. Und mir wird noch heute schwindelig vor so viel Selbstbewusstsein. Denn das habe ich nie geglaubt, dass ich diesen wunderbaren Wesen, die erst innerhalb und wenig später außerhalb von mir heranwachsen durften, jemals auch nur annähernd gerecht werden konnte und kann. Ich weiß nie, wie es geht. Das mit der Fürsorge, das mit dem Loslassen, das mit der richtigen Balance dazwischen. Es gibt keine schwierigere Aufgabe als Mutter zu sein. Und keine schönere.

Zeug*innenschaft statt Rechenschaft

Seltsam, dass keine der Besprechungen von Stellings „Schäfchen im Trockenen“ darauf eingeht, dass dieser einzige isolierte einsame Eintrag im Tagebuch der Mutter : Wieder zu viel gegessen – natürlich dafür steht, dass Frauen das so lernen, alles in sich hineinzufressen. Vielleicht ist das ja zu offensichtlich, um erwähnt werden zu müssen. Aber vielleicht überlesen das die Rezensentinnen auch gerne. Zu platt, nicht intellektuell genug, da schreibt man dann doch lieber woraus sich der Name der Protagonistin ableitet, weil man dann ein wenig mit Hintergrundwissen (auch nur gegoogelt) glänzen kann, dass Parrhesia Redefreiheit meint, auch wenn man dadurch, dass man erwähnt, Stelling habe das im Interview „verraten“ klar macht, dass man das Buch eher nicht gelesen hat, denn tatsächlich muss Anke Stelling das in keinem Interview erklären, es steht ja schwarz auf weiß im Buch:

„Aufhören, mich dem Betrieb zu empfehlen. Jetzt hat sie doch ihren Preis, die olle Resi, also muss niemand mehr bemerken, dass ihr Name nicht auf Theresia, sondern auf Parrhesia zurückgeht.“

Aber gut, das steht auf Seite 259, man hätte das Buch also zu Ende lesen müssen.

Ich bin jedenfalls froh, dass ich das Buch dann endlich doch gelesen habe. Weil es ganz viele Fragen aufwirft, die mich ganz persönlich angehen.

Ich frage mich zum Beispiel; was weiß man, wenn man Kinder bekommt (müssen ja nicht gleich vier sein)? Gibt es wirklich aufrichtige Antworten darauf, warum man sich Kinder wünscht? Legt man Rechenschaft ab über seinen Kinderwunsch? Und wenn ja, wem gegenüber? Vor sich selbst? Vor den Kindern? Der Gesellschaft? Und warum?

Und das sind keine rhetorischen Fragen, das interessiert mich wirklich. Also gerne her mit eigenen Geschichten und Kommentaren. Vielleicht können wir die schöne Anregung, zusammen zu schreiben, von Andreas Wolf neulich, ein bisschen mit Leben füllen. Und ganz nebenbei etwas über uns und unsere Gesellschaft herausfinden.