Pedro Reyes – Sociatry

Heute im Marta gewesen und mit Pedro Reyes eine ganz außerordentliche und ungemein wichtige Form der Kunst entdeckt. Reyes stellt den Betrachter, die Zuschauerin, eben uns als Konsument:innen von Kunst in den Mittelpunkt. Seine Kunst, seine Aktionen und Installationen beschränken sich nicht auf einen Mitmach-Effekt, sondern haben die Ermächtigung der Einzelnen als Anlass, als Zentrum. Ich bin noch ganz erfüllt von dieser Inspiration, davon, dass jemand all den Problemen, all den Missständen und der Ohnmacht mit denen wir gerade konfrontiert sind, den Glauben an den Einzelnen und die Kraft des gemeinschaftlichen Tuns entgegen setzt.

Der Ausstellungstitel Pedro Reyes lautet „Sociatry“. Eine Wortmischung aus gemeinschaftlicher Verbundenheit und Heilung. Geprägt hat den Begriff Jacob Levy Moreno, ein Soziologe und Psychiater, dessen Arbeitsschwerpunkt auf Möglichkeiten, die Gesellschaft als solche zu heilen, lag. Die Ausstellung läuft noch bis zum 14. August und ist sehr sehr sehens- und erlebenswert.

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Hein Gorny

In der Lettre International 135 die Bekanntschaft mit Hein Gorny gemacht. Bzw. mit seinen Fotos. Dass etwas so alltägliches, kleines, eigentlich nie beachtetes, wie eine Reißzwecke so eine Schönheit entfalten kann, hat mich beeindruckt. Und neugierig gemacht auf den Mann, der diese Alltagsutensilien so in Szene zu setzen verstand, dass sich ihre Ästhetik offenbarte. Leider machen mich bereits die ersten Sätze des Berichts von Klaus Honnef wütend. als Autodidakten stellt er Hein Gorny in eine Reihe mit den „Erneuerern der Photographie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Wobei er Man Ray aufführt, nicht aber Lee Miller, Walker Evans, aber nicht Dorothea Lange. Seine Liste der Erneuerer ist rein männlich. (ich habe trotzdem weiter gelesen, und es wurde tatsächlich besser, die eine oder andere Pionierin der Fotografie wird dann doch genannt).

Gorny war Tischler, gesellig und sympathisch soll er gewesen sein, und seine unerschöpfliche Neugierde veranlasste ihn zu immer neuen Experimenten. Angefangen hat Gornys fotografische Karriere mit einem Porträt von Theodor Lessing, fortgesetzt hat sie sich zunächst in der Werbung. Werbung war damals ein guter Ort, um avantgardistische und künstlerisch hochwertige Experimente zu machen. Gorny hat für Leibnitz und Pelikan gearbeitet und es ist großartig, welche Fotos bei diesen Gelegenheiten entstanden sind.

„Die Klarheit und Genauigkeit seiner Bilder, ihre Transparenz gegenüber verborgenen Zusammenhängen und ihre frappierende Lakonie bestechen“, schreibt Klaus Honnef, und weiter: „Gornys Bilder […] sezieren die zugrundeliegenden Strukturen und erhellen die Ambivalenz der Moderne zwischen Rationalismus und Irrationalismus, zwischen Fortschritt und Seelenlosigkeit.“

Kein Wunder, dass Gorny Opfer des Regimes wurde. Seine Frau war Jüdin, Scheidung kam für Gorny nicht in Frage. Emigrationsversuche scheiterten auf die eine und andere Weise. Schließlich zerbrach die Ehe doch. Gorny war da bereits abhängig von Pervitin. Fast vergessen starb er 1967 in Hannover.

Heji Shin – Baby

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Heji Shin, 1976 in Seoul geborene und heute in New York lebende Künstlerin hat Nikola Dietrich für mich entdeckt, in dem wunderbaren Band „I love women in Art“. Bereits beim flüchtigen Durchblättern des schönen Bandes bin ich sofort an ihrerm „Baby 7, von 2016 hängen geblieben.

Es ist ein sehr intimes Bild. Es ist ein rohes Bild, man sieht Blut und völlig Erschöpfung, man sieht die Zerbrechlichkeit des Babies und die Gewalt und Grausamkeit der Geburt. Vor allem aber sehe ich den Moment des Übergangs vom noch nicht auf der Welt sein zum auf die Welt kommen.

Was die Fotos so verstörend und gleichzeitig bezaubernd, oder sollte ich schreiben: wichtig, elementar macht, ist die Tatsache, dass sie in aller Deutlichkeit zeigen, wie sehr Sterblichkeit und Leid von Anfang an unser Leben begleiten, wenn nicht bestimmen. Ihre Baby Serie zeigt Fotos, die genau diesen Zwischenzustand zwischen nicht mehr und noch nicht aufzeigen, diesen Übergang von einer Sphäre zur nächsten, ein Übergang über den wir selten reden, weil wir es nicht können, oder weil es so schwer ist, dass wir es nicht einmal versuchen. Die Transformation vom noch nicht auf der Welt sein und diejenige vom die Welt verlassen. Denn diese zweite Ebene spielt für mich wesentlich hinein in die zutiefst berührenden, fesselnden und abstoßenden Fotos von Heji Shin. Es sind Fotos, die Grenzen aufbrechen, Tabus. Die Gesprächsräume öffnen, gerade weil sie wissen, dass der Andrang in diese Räume bestenfalls zögerlich erfolgen wird.

Die Bilder von blutigen Babies, so sagt sie in einem Interview, das auf Fräulein Magazin nachzulesen ist, waren in ihrem Kopf, ohne dass sie sich an einen besonderen Impuls dafür erinnern konnte. Fortan sprach sie schwangere Mütter an, unbekannte Frauen mit dickem Bauch, mitten auf der Straße. Wenig erstaunlich hatte sie weder bei diesen Versuchen Erfolg, noch als sie später in Geburtsvorbereitungskursen, Schwangerenyoga und all diesen Orten, an denen sich speziell Schwangere aufgrund ihrer Schwangerschaft und der bevorstehenden Geburt aufhalten. Mehr Glück hatte sie dann schließlich als sie Kontakt zu einigen Hebammen aufnahm, die sie für ihr Projekt gewinnen konnte, und die wiederum einige der Mütter überzeugen konnten.

Shin betont, dass die Fotos nur einen Aussschnitt zeigen, nicht Abbild einer irgendwie gearteten allgemeingültigen Wirklichkeit sind. Sie sind Entscheidungen der Künstlerin und sie sind aus dem Zusammenhang gerissene besondere Momente. Dennoch sind sie außerordentlich wahrhaftig.

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„Dali ging in seiner Verfolgung der Suggestion des Unbewußten so weit, daß er seine Staffelei am Fuß des Bettes aufstellt, damit er sich vor dem Einschlafen auf das unvollendete Bild konzentrieren konnte, um seine Träume in die Richtung seiner Entwicklung zu lenken. Zu anderen Zeiten „wartete ich stundenlang auf solche Eingebungen. Dann verharrte ich ohne zu malen in großer Spannung…“; oder er versuchte mit allen Mitteln, Wahnsinn zu simulieren.“

Aus einem Buch des Taschen Verlags über Salvador Dalí herausgesucht, weil ein Kollege mich kürzlich an ihn erinnerte. Bzw. die Art, wie seine Gedichte traumhaft surreal Worte aneinander fügen, wie weit er sich scheinbar von jeglicher Realität löst, von jedem Impuls und Anlass, vielleicht sogar von jeder Art von Sinn, um dann, sobald man sich etwas länger, offener damit beschäftigt, eine erstaunliche und irgendwie tiefere Perspektive zu eröffnen.

Überhaupt bin ich gerade umgeben von Bildern, die letzten Artikel, die ich geschrieben habe, waren solche über „Fensterausstellungen“, das einzige, was derzeit möglich ist, wenn man als Künstlerin im Analogen bleiben will. Außerdem bin ich mit einer Fotokünstlerin ins Gespräch gekommen, und nicht zuletzt kam vor einigen Tagen „I love Women in Art“ von Bianca Kennedy und Janine Mackenroth hier an. Beim Durchblättern bin ich sofort bei der aufsehenerregenden Arbeit von Heji Shin hängen geblieben, darüber vielleicht morgen mehr.

Ich glaube ja nicht an Zufälle, und die Sache mit den Bildern ist sehr leicht zu erklären, weil ich mich seit Monaten mit einem Bild beschäftige, über das ich etwas schreiben soll und möchte. Die Tatsache, dass es ein dermaßen beeindruckendes, aber gleichzeitig unerschöpfliches Werk ist, und dass das Projekt schön und wichtig ist, macht es mir vielleicht schwerer als nötig. Weil ich dann wieder so hinderliche Dinge denke, wie dass ich es sehr sehr gut machen muss, dass ich auf keinen Fall das Ganze durch meine minderwertige Arbeit vermasseln darf, dass es ohnehin ein Irrtum ist, dass ausgerechnet ich dazu eingeladen worden bin, dass die Initiatoren, sobald ich etwas eingeschickt habe, die Hände über den Kopf zusammenschlagen werden. Und da kommt der Verweis, die Erinnerung an Dali sehr recht, weil es eine Möglichkeit darstellt, dieses dämliche Ego zu überlisten, und sich stattdessen auf die erstaunliche Kraft des Unbewussten zu besinnen.

Gedanken beim Besuch der Ausstellung „Künstler sein“ von Anna Oppermann

Dem Frau sein entkommst du nicht. Das denke ich bei den Frühwerken, die mich sehr viel mehr ansprechen als die großen Ensembles, mit denen Anna Oppermann bekannt geworden ist. Ich denke dabei an die anrührende Szene, die Marica Bodrozic in „Poetische Vernunft im Zeitalter gusseiserner Begriffe“ beschreibt. Wie ihre Cousins, mit denen sie ständig spielte, sie eines Tages ausschließen, beim geplanten Ausflug in die Höhlen darf sie nicht dabei sein. Weil sie ein Mädchen ist. Bodrozic beschreibt wie tief der Schock gewesen ist, als sie ihre Tante fragte, was sie denn tun müsse, um kein Mädchen mehr zu sein, wann dieser ausschließende Zustand denn vorbei sein, und zur Antwort ein „niemals“ erhält. Dem Frau sein entkommst du nicht. Der Trennung und dem Ausgeschlossen werden. Es ist uns auf den Leib geschrieben. Bestimmt sowohl den Blickwinkel mit dem wir sehen, als auch den, mit dem wir gesehen werden. Es ist der Rahmen, der uns hält und begrenzt. Auch die Netze, die wir spinnen, sind geknüpft von weiblichen Fingern.

Wenn Oppermann eine ihrer riesigen Ensembles, die über viele Jahre entstanden sind, „Zeichnen nach der Natur“ nennt, erhält das auf einmal eine viel weitreichendere Bedeutung. Das Nützliche und das Natürliche. Und dass sich das nicht immer ergänzen kann. Oppermann erfasst in ihren Bildern, besonders in den Collagen, durchaus auch die Abgründe der Natur.

Nerven, Synapsen, Dynamik und Bewegung. Das Flüssige wird fest. Was ist Selbstbestimmung? Wie findet eine zum eigenen Ausdruck?

Kunst erscheint vor diesem Hintergrund als Gegenentwurf zu den bestehenden Verhältnissen. Fast wie bei Rilke: „Du musst dein Leben ändern“.

Falten

Falten, Entfalten. Es ist vermutlich kein Zufall, dass ich letzten Sonntag, in dieser Ausstellung gelandet bin. Einer Ausstellung, die nicht zuletzt von der Schönheit und den erstaunlichen Möglichkeiten des Faltens, der Falten, die Tiefe verleihen, erzählte.

Vielleicht ein weiterer Schritt, auf dem Weg zu begreifen, warum Alter und Scheitern bei mir in einem Text zusammen gefunden haben.: Ich glaube, ich habe unbewusst so ein vertracktes Denkmuster, das mir einredet, ab einem gewissen Alter darf man keine Fehler mehr machen, loslaufen, hinfallen, aufstehen gilt nur bis zu einem gewissen Alter. Dabei steckt in Wirklichkeit in den Falten vielleicht auch das Fallen, das sich fallen lassen.