Seit mittlerweile 5 Ausgaben freue ich mich sobald die Volltext im Briefkasten liegt, ganz besonders auf Jan Wilms Begegnungen in der Autofiktion. Das ist genau die Art von Auseinandersetzung mit Literatur, die mich einnimmt, so – diesen überflüssigen Satz kann ich mir entgegen besseren Wissens nicht verkneifen – möchte ich auch schreiben. Über Bücher, über Gedichte, über meine Lektüre. In seiner aktuellen Begegnung mit Peter Weiss, Hervé Guibert und dem eigenen Penis, schreibt Wilm: „Ich bin nicht fürs Feuilleton tätig, sondern für die Literatur.“ Ja, denke ich, das ist der Weg, den ich irgendwann verlassen habe, von dem ich abgekommen bin, immer weiter weg von der Literatur an sich, hin zu den vermeintlichen Ansprüchen und Erfordernissen des Feuilletons. Wie dämlich. Aber Freiheit, das habe ich schon häufig in allen möglichen Formen von Texten geschrieben, ist etwas, womit ich nach wie vor schlecht umgehen kann. Etwas, das mir womöglich immer noch und immer wieder, Angst macht. Auch dazu hat Wilm einen leuchtenden Satz: „Man wird zum Künstler, weil man sich vor dem Leben fürchtet, weil die Angst alles durchsträhnt, weil der Sturz ins Innere eine ungeheure Furcht verströmt.“ Ich freue mich jedenfalls schon auf die nächste Begegnung mit Wilm und der Autofiktion. Und bis dahin versuche ich selbst wieder etwas regelmäßiger hier zu schreiben.
Spiegelmützen
spiegeln die Welt, wie andere sie sehen.
Literaturkritik – Sandra Kegel in der Kunsthalle in Bielefeld
Natürlich war es naiv zu glauben, nur weil eine Kritikerin eingeladen ist, müsste es automatisch um die Kunst des Kritisierens gehen, um Literaturkritik und darum welches Werkzeug man dafür benötigt. Stattdessen ging es bei dem gestrigen Gespräch zwischen Kai Kaufmann und Sandra Kegel um die nun doch abgesagte Buchmesse, um Bücher als Wirtschaftsfaktor, um Zahlen und Trends, kaum einmal um Literatur an sich. Kegel selbst bewegte sich zwischen Bewunderung (oh, da geht schon wieder ein Starautor vorbei. Und Autor steht hier in der männlichen Form, weil sie so gut wie keine schreibende Frau erwähnt hat) und Überheblichkeit (diese bekannte und ermüdende Überheblichkeit des gedruckten Feuilletons, das allein die Kapazität und Autorität hat, einzuordnen, was das Siegel Literatur verdient, und was nicht). Vielleicht lag es aber gar nicht wirklich an ihr, sondern an der Art der Fragen. Wie soll jemand vom Inneren des Schreibens reden können, der es nur von außen betrachtet, als Geschäft, von dem letztendlich das eigene Auskommen abhängt?
Kultur braucht Resonanzen
Eine Zeitlang habe ich hier für die lokale Presse geschrieben und eine kurze Weile war das auch eine gute Sache. Ich lernte Formate kennen, die ich vorher nicht beachtet hatte und setzte mich damit auseinander. Problematisch wurde es, als immer häufiger Veranstaltungen, die ich interessant und berichtenswert fand, generell abgelehnt wurden. Nicht relevant für die Zeitung. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Schließlich wurde die Kulturseite ganz gestrichen, das bisschen Kultur, über das man dann doch berichten musste wurde in die Lokalseiten ausgelagert, mit weniger Zeilen und noch weniger Bezahlung. Nach der Versammlung, in der all dies bekannt gegeben wurde, war der Unmut bei den freien Mitarbeitern sehr groß, und so wäre es vermutlich geblieben, Unmut, der irgendwann verflogen wäre oder auch nicht. Aber dass jetzt tatsächlich etwas Neues entstanden ist aus diesem Unmut, verdanken wir (die Gesellschafter von Resonanzen) und die Stadt Bielefeld in erster Linie Antje Doßmann, die ein Treffen anregte, ein Treffen derjenigen, die Lust hatten, sich zu überlegen, ob man diesem ausufernden Kulturdesinteresse nicht etwas entgegen setzen könnte. Nach fast einem Jahr, vielen vielen Treffen und Diskussionen, haben wir gestern unser neues Kulturportal für die Stadt präsentiert, und ich bin sehr stolz Teil dieser Bewegung zu sein.
Bestimmt werde ich weiterhin wenig hier schreiben, aber immer wieder gerne auf Artikel aufmerksam machen, die auf dieser Seite erscheinen. Wir freuen uns über jeden Besuch und jegliche Art von Unterstützung. Danke!
Aus den Winterarchiven
BEI DER GEBURT eines Kindes gibt es einen Augenblick, wo man sagt, das Kind krönt, und zwar, wenn der Kopf zum ersten Mal sichtbar wird, in der Mutter sichtbar, aber was bedeutet das,krönen, trägt das Kind den Mutterkörper wie eine Krone, oder krönt das Kind die Mutter, wird sie vom Kind gekrönt? Unmöglich, das Kind loszulassen, es hat seinen eigenen Körper, aber zugleich ist es in dem anderen Körper, das Kind ist in der Mutter auch eine Narbe, der Abstand, der ununterbrochen in den Stichen zieht, mit allem, was das Kind lernt, wird der Abstand größer; das Mädchen geht in die Schule, läuft die Straße lang, ist unterwegs, spielt auf dem Spielplatz am Wald. Ich bin misstrauisch gegenüber der Kindheit. Gegenüber diesem In-der-Kindheit-Sein, seiner brunnenartigen, vogelartigen Körperlichkeit, die rauen Landschaften, Umgebungen, in der Turnhalle, die Wände des Schulhofs, der Kies, der Asphalt, die Fahrradreifen, Bürgersteige, Eisspalten, Karosserien. Die Bosheit. Alle anderen Kinder, dieses Überlassensein. Ein Kind haben und es der Welt überlassen. Nichts, was man sonst tut, ist so schwerwiegend. Die ganze Zeit die Welt überleben.
(S. 232 – „Aus den Winterarchiven – Merethe Lindstrom)
Bilder
Die Bilder. Und wie in den Bildern eine Andeutung des Geschehenen liegt, etwas, das analysiert werden kann, oder auch nur angedeutet. Mit dem Bild entsteht eine Vorstellung davon, was an die Oberfläche treten könnte, wenn man genauer hinsieht.
Beschränkung und Überfluss
Form ist Beschränkung. Schreiben Überfluss.
Beides ist notwendig.
Und darum hat Knausgard vielleicht doch nicht Recht, es ist nicht so, dass das Handwerk das Übergeordnete ist, das was die höchste Priorität hat. Sondern die Aufrichtigkeit, bzw. die Balance zwischen Form und Überfließen, zwischen der Flut der Worte und dem engen Steg der das Unsagbare für andere vielleicht nicht nur verständlich, sondern sogar begreifbar macht.
Einfalt
Ich bin die bedrohliche Einfalt im Zeichen der Vernunft. Je wichtiger wir uns nehmen, umso unbedeutender werden wir.
Das Paradox der Identität
[…] Jedes Ich ist einzigartig und unveräußerlich, aber auf exakt die gleiche Art und Weise wie alle anderen Ichs. Wir erhöhen jemanden, wollen uns aber nicht dazu bekennen; wir sind durchdrungen von den anderen, wissen es aber nicht oder wollen es nicht sehen. […]
„Kämpfen“, Karl Ove Knausgard, S. 251
Familie
„Darum beneide ich sie“, hatte Linda eines Abends vor nicht allzu langer Zeit gesagt, als wir in einer der Ecken des enormen Parks zu Abend gegessen hatten und mit den Kindern auf dem Heimweg waren.“ […]
Es geht um eine große Menschenansammlung, mehrere Generationen umfassend, die in diesem Park grillen und reden und lachen. Knausgard und Linda unterhalten sich über das Phänomen Großfamilie und Linda sagt: […] alles konzentriert sich so auf uns, auf mich, dich und die Kinder. Stell dir vor, wir hätten etwas, worin wir verschwinden könnten!“
Ich glaube, ich verstehe, was sie meint. Das Prinzip Familie, das Phänomen Großfamilie. Das Muster das an die Stelle der Konzentration auf die einzelnen Fäden, tritt. Ein großes „wir“ statt ich, du, Kind A., Kind B., mit allen seinen Eigenarten, der Versuch, jedem, aber auch sich selbst, gerecht zu werden, oder das Ganze im Blick zu haben, das Gleichgewicht weniger als das Gewicht, das in so einer Aussagen liegen kann: Wir sind eine Familie. Und das sind wir eben tatsächlich nicht, keine Großfamilie, nur die jeweils kleinen Einheiten, die sich eher gegeneinander behaupten, als sich im großen Gesamtzusammenhang aufzulösen.
Aber natürlich hat auch das seinen Preis.
Ich glaube ein großes, vermutlich grundlegendes, Problem unserer Gesellschaft, ist die Tatsache, dass wir nicht anerkennen wollen und können, dass auch die Freiheit ihre Schattenseiten hat, ihren Preis fordert, ebenso wie der Fortschritt. Dass es vermutlich absolut nichts gibt, das nur gut ist.
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