Da ziehst du mit dem Atem
Der Wellen durch die Dämmerung treibt
Die Luft, die dich ernst nimmt
So lange bis du zu tanzen beginnst
Und das ist immerhin ein Anfang
Den man genau so gut
Unter schweren Buchdeckeln trocknen kann
Um ihn dann zu vergessen
Erst Jahre später
Wird jemand das Buch aufschlagen
Und du sagst
Das war damals
Als ich den Atemzügen gelauscht habe
Als wären sie ein Reiseziel
Diese Momente
Aus denen das Glück besteht.
Gedichte
Schneewittchen
Schneewittchen glaubte an Märchen
die ihr niemand erzählte
weil außer dem Spiegel
keiner mit ihr sprach
Sie pflanzte Rosen an
weil sie hoffte
so könnte sie der Prinz für Dornröschen halten
Aschenputtel für sieben Kleinwüchsige
zu spielen
schien ihr nicht erstrebenswert
wer will schon den Frühling abwarten
wenn die Lust auf Liebe in den Winter schneit
und in Schneewittchens Gesicht
war immer Winter
weiß wie Schnee
aber mit drei Tropfen Blut
wenn das keine Drohung war
Aber sie glaubte ja an Märchen
so sehr
dass sie Frösche küsste
und niemals vom Weg abkam
um Blumen zu pflücken
und nicht mit ihrem Spiegel sprach
dem einzigen
der ihr wirklich etwas zu sagen gehabt hätte
Die kleine Frau zählt ihre Falten
Erst muss man alt werden, dann kann man die Taten verschieben auf später.
Die kleine Frau zählt ihre Falten, dann hält sie ihren kleinen Handspiegel so,
dass er die Sonne reflektiert.
Ich wünsche mir Rapunzel und Schneewittchen an den Geburtstagstisch von Dornröschen, an dem ohnehin schon ein Stuhl fehlt.
Wir dürfen nicht aufhören, die Geschichten immer anders zu erzählen, sagt sie.
Um uns dann der Wirklichkeit zu stellen.
Edward Hirsch
Boxer
So war es wohl
Gott sah ab von jeglicher Notwendigkeit
Und erschuf mich und meinesgleichen
die wir getrieben vom Zweifel
damit fortfuhren im falschen Moment zu schweigen
zwischen den Zeilen zu lesen
was wir uns selbst zur Last legten
unser Ungenügen klar wie Wasser
zu klar um wütende Reden gegen sich selbst zu führen
zu durchsichtig für den erlösenden Schlag
Gefangen in erwartungsvoll tänzelnden Schritten
Wir

Wir.
Das sind die Fäden.
Im Netz einer fremden Macht.
Wir sind die Nadel,
die den Stoff durchsticht,
einfällt, hinzufügt.
Wir sind der Saum der Geschichte.
Die Stickerei eines Traumes der Versöhnung.
Die Grenze, die überschritten wird.
Die Wende, die bleibt.
Die Narbe, die leuchtet.
Die Nadel, die Dornröschen sticht,
der Tropfen Blut, der in den Schnee fällt
und ein Bild entstehen lässt.
Eine Schüssel voll Wolken
Manchmal denke ich
Dass jetzt dieser Punkt gekommen ist
An dem nichts weiter zu sagen bleibt
Ich öffne die Fenster
Konzentriere mich auf die sinnlosen Bewegungen meiner Hände
Und höre zu
Höre das Schweigen
Und versuche es wörtlich zu nehmen
Diese müden Tage
Die man sich auf den Rücken bindet
Und das einzige was mit beunruhigender Beständigkeit
Wiederzukehren scheint
Ist der Glaube an die Niederlage
Das eigene Unvermögen
Wenn die Heiligen einmarschieren
sehe ich nur diese Frau mit den meergrünen Augen
Diesem liebevoll zersetzenden Blick
Sie sagt ich bin eine mittelalte Hexe
Aber du kannst mich Anne nennen
Ich habe eine Schüssel voll Wolken mitgebracht
Wir setzen uns
Die Schüssel zwischen uns auf dem Tisch
Und keine von uns sagt ein Wort
Joseph Brodsky
„…und schamanenhaft dreh ich mich im Raum,
wickle seine Leere wie Fäden leis
auf die Spule um mich herum,
daß die Seele etwas erfährt, was Gott allein weiß.“
Joseph Brodsky 1980
Anne Carson lesen
In einem Gedicht auf der anderen Seite steht Demut (steht ihm zu) während die Worte liegen bleiben (unverbraucht).
Ein Atem, der davon träumt nichts zu verwandeln.
Eine kleine Brücke über die (unwidersprochenen) Widersprüche.
Ruhig beständig
wie die Zeit
fällt der Regen
Anne Carsons wahnsinnig gewordenes grünes Wohnzimmer, das dem Blick nicht mehr standhält, sich wiedererkennbar verändert. Weil ihm endlich egal geworden ist, wie die Blicke auf ihm ruhen.