Da mir der Fischer Verlag ganz offensichtlich kein Rezensionsexemplar schickt, habe ich „Champagner für die Pferde“ gestern bei Buchhändler meines Vertrauens erworben.
Was für eine Bereicherung! So viele nicht nur kluge, sondern wirklich weit ins Offene führende Gedanken (und ich habe gerade erst die allerersten 20 Seiten gelesen).
Wie Rinck Gedanken aufnimmt, hinterfragt und weiterspinnt, und dabei funkelnde, perlende intellektuelle Netze spinnt, ist prickelnd und köstlich, die eigenen Gedanken erweiternd und beflügelnd.
Ich bin sehr gespannt, was die Kollegen schreiben werden, die in den Genuss eines Rezensionsexemplars gekommen sind.
Bis dahin schreibe ich ein Lesetagebuch und genieße die das eigene Denkvermögen weitenden Texte von Monika Rinck.
Texte, mit denen sie auf den Punkt bringt, was in mir gearbeitet hat, ohne dass ich es wirklich zu fassen bekommen habe.
Auf Seite 10 zitiert Rinck Luise Meier: „Man identifiziert sich nicht mit den Teilnehmerinnen am Wettbewerb, sondern mit der Jury. All die Kränkung, die der bewertete Körper, die bewertete Stimme, die bewertete Performance, die duellierende Politikerin erfährt, übersetzt sich für die Zuschauerinnen in die Macht derjenigen, die die Regeln kennen und das Urteil fällen [..]“
Sie bezieht sich mit diesen Sätzen auf all die Casting- und Wettbewerbsshows, die ihr Publikum scheinbar nicht verlieren, das Interesse an derartigen Formaten scheint ungebrochen. Aber diese Sätze treffen mich auch an einer ganz eigenen Stelle, obwohl ich diese Formate widerlich, oder zumindest suspekt finde. Es geht um die Regeln. Es geht um meine Versuche als Rezensentin. Um diesen Glauben an Regeln, daran, dass alle die sie kennen, besser sind als ich, klüger, berechtigter ihre Meinung zu äußern. Darum, wie sehr mich das von Jahr zu Jahr stärker gehemmt hat, wie mein „natürlicher“ Zugriff auf Texte, mein aufrichtiges Sprechen über meine Leseerfahrungen darunter so sehr gelitten haben, dass ich es tatsächlich verlernt habe.
„Menschen mit Haltung und Selbstbewusstsein, Menschen, die scheitern und wieder aufstehen, aktiv sind. Alles scheint ganz klar zu sein. Das ist das Schlimmste. Wenn alles nachvollziehbar, logisch, bis in den letzten Winkel verständlich ist. Du weißt so geht der richtige Weg. Aber du kannst ihn nicht gehen. Nichts davon hat auch nur das Geringste mit dir zu tun. Als wären die Sätze, die du sagst falsch, nur weil keiner sie hören will.
Das habe ich am 03. März in mein Tagebuch notiert. Und das sagt ja eigentlich genau das, nur aus einer Perspektive, in der jemand in seinem eigenen Netz feststeckt, bevor ein anderer einen klaren Blick von außen darauf wirft.
Und das ist etwas, das Rinck in einer Fußnote dem absoluten Ideal der Gegenwärtigkeit entgegensetzt. Klarheit und Mut als Gegengewichte zu Konkurrenz und unbedingter Gegenwärtigkeit.
„Das absolute Ideal der Gegenwärtigkeit“, schreibt sie, „an dem sich, wie manche Leute meinen, alle Literatur zu messen habe, ist übrigens nicht der Film, nicht einmal der 3-D-Pornofilm, sondern der Autounfall. Der unvorhergesehene Autounfall, nach dem nichts mehr ist, wie es war. Nein, das kann, also das kann, das kann die Literatur nicht. Zum Glück! Zum Glück, möchte man den Ideologen der Plötzlichkeit zurufen. Die Literatur könnte aber eine Person dazu bringen, die Beziehung zu einem prügelnden Partner abzubrechen. Mut als ästhetisches Phänomen.“