Sag alles ab! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik – Lesetagebuch

Während ich einige Beiträge aus dem vom Haus Bartleby herausgegebenen Buch „Sag alles ab“ las, machte ich mir Gedanken darüber, wie sehr ich eigentlich selbst funktioniere, und wo ich vielleicht auch „streiken“ könnte. Zunächst dachte ich, dass ich tatsächlich nur funktioniere, aber dann wurde mir klar, dass ich in einigen Punkten mittlerweile in ein klein bisschen weniger eingetreten bin. Nicht als Streik. Und sowieso in einem viel zu privilegierten Rahmen, um mitreden zu können, aber so weit weg von all dem eben auch nicht.

Meine Besprechungen z.B. Was war das für ein großartiges Gefühl und Geschenk, auf einmal wieder eigenes Geld zu verdienen. Noch dazu mit einer Arbeit, die ich liebte und von zu Hause aus erledigen konnte, bei freier Zeiteinteilung, also ohne mich jemals zwischen Arbeit und Dasein für die Kinder entscheiden zu müssen. Und dann wurde ich ehrgeizig, wollte die Grenze dessen, was ich steuerfrei dazu verdienen durfte, ausschöpfen, und schrieb nur noch Besprechungen. Ich las Bücher, die mich nicht wirklich interessierten. Ich las so lange und so viel, immerzu mit dem Ziel, eine Besprechung dazu zu schreiben, dass ich letztendlich die Lust am Lesen verlor. Ich konnte mich nicht mehr in einem Buch verlieren, konnte mich dem Lesen nicht mehr hingeben, ganz abgesehen davon, dass ich längst nichts eigenes mehr schrieb. Ich wollte dazugehören, zu den „angesehenen“, „richtigen“ Kritikern, wollte es richtig machen und gelesen werden. Ich wollte wenigstens auf dem Gebiet der Kritik (auch wenn der Stundenlohn niemals reichen würde, um auch nur ein Existenzminimum zu verdienen) Karriere machen. Das, so glaube ich, geht am ehesten mit Quantität. Selbstausbeutung. Das war der Grund, warum ich scheitern musste. Eine Weile hörte ich ganz auf, Besprechungen zu schreiben. Eine Pause, die notwendig war, um das Lesen wieder zu lernen. Ganz viel Selbstzweifel war notwendig, um meinen eigenen Anspruch zu suchen (ob ich ihn gefunden habe, weiß ich nicht, aber ich bin auf einem Weg, der zunehmend zu meinem Weg wird). Ich schreibe jetzt in vollem Bewusstsein, und entgegen der Regeln der klassischen Feuilleton Kritiken, subjektiv, schreibe von meinem Leseerlebnis. Wobei ich immer versuche, respektvoll zu bleiben, erst einmal zu versuchen, zu verstehen, was die Autorin vorhatte, bevor ich erzähle, was bei mir angekommen ist und warum. Ich versuche in einen Dialog zu treten mit dem Buch, das ich lese. Das muss nicht immer harmonisch sein, aber eben respektvoll. Respekt bedeutet für mich in diesem Fall die Mühe auf mich zu nehmen, den anderen zu verstehen, und das erfordert Zeit. Ich habe Quantität gegen Qualität getauscht, Zugriffszahlen und Geld gegen eine für mich lohnende Auseinandersetzung, das möglichst effiziente Funktionieren in fremdbestimmten Zusammenhängen gegen Selbstbestimmung.

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