Alter

Sogar eine grenzüberschreitende, seit Jahrzehnten unkonventionelle Frau wie Marina Abramovic, möchte nicht, dass man ihrem Körper das Alter ansieht. Sie bekennt sich freimütig dazu, ihr Gesicht lasern zu lassen, um nicht im Entferntesten wie 67 auszusehen.

Das Altern verhindern, unsichtbar machen, verschieben. Sowohl in der Literatur, als auch im Alltag scheint das die vorherrschende Form des Umgangs mit dem Altern, insbesondere mit dem Altern der Frauen.

 

Gemeinhin wird im Alter die Nähe zum Tod gesehen, Hilfsbedürfigkeit und Verfall. Die alten stehen am Rand, aber nicht, um nach und nach in die Mitte hinein zu wachsen, sondern am Ende, an diesem Rand, der nur noch in den Tod führt.

 

Meine ersten Erinnerungen zum Phänomen Alter hatten nichts mit Tod und Sterben zu tun, sondern mit Scham. Meine Mutter war viel älter als die anderen Mütter und dafür schämte ich mich. Mir selbst war diese Abweichung nie aufgefallen, aber nachdem mich die anderen Kinder eindrücklich darauf hingewiesen hatten, schämte ich mich für das Alter meiner Mutter. Ich lernte: es ist ein Makel alt zu sein.

18 Gedanken zu “Alter

    1. Ich versuche gerade herauszufinden, was genau da auf uns wirkt, und wie viel wir selbst dazu beitragen und bin sehr an den Erfahrungen meiner Leserinnen interessiert. In diesem Sinne: Danke für Deinen Kommentar.

  1. Waren es die indischen Frauen, denen man nachsagt, dass sie immer schöner würden je älter? Es ist schwer sich dem effizienten Denken des „Heute“ entgegenzustellen, sei es auch nur in Gedanken.
    Danke für diesen Beitrag!

    1. ich konnte leider nichts finden zu deinem Hinweis, es würde indischen Frauen nachgesagt, dass sie im Alter immer schöner würden. Aber vielleicht ist ja auch diese Fixierung auf Schönheit eines der Probleme? Wer definiert denn, was schön ist? Ist ein Gesicht mit glatter Pfirsichhaut wirklich schöner als eines, in dem die Falten ein Leben eingeschrieben haben? Oder nur anders, von einer anderen Schönheit? Danke für Deinen Kommentar.

  2. Gut gesehen. Aber trotzdem ist das eigene äußerliche Alter immer noch ein Spiegelbild der inneren Einstellung, egal wie die Mitmenschen, selbst das eigene Kind, auf das physische Alter reagiert. Wenn ich vor dem eigenen Altersverfall und vor meinem Tod Angst habe, spiegelt sich das auf meinem Äußeren wider. Also liebe älteren Leute, machts wie ich, lasst euch lieber den Kopf abreißen als dass ihr euch vom Jugendwahn unterbuttern lasst 🙂

    1. Der Hinweis auf das Spiegelbild der inneren Einstellung ist sehr richtig und wichtig. Aber ich glaube, das bedingt einander eben sehr stark, und ich versuche gerade herauszufinden, wie ungefähr das alles zusammenhängt, diese Projektionen der Angst von den Jüngeren, und die Annahme eines negativen Bildes durch die Älteren. Danke für Kommentar und den Aufruf, sich lieber den Kopf abreißen zu lassen, als dem Jugendwahn zu verfallen 😉

  3. Es wird viel dafür getan, um die Angst vor dem Alter zu schüren … dass sich Marina Abramovic läsern lässt finde ich persönlich doof, aber jeder das ihre …
    Ich orientiere mich an den Frauen in meinem Leben, die im Alter unverfälscht schön waren oder sind, die weiterhin handeln, die neugierig geblieben sind.
    Da mich dieses Thema Zurzeit sehr beschäftigt, bin ich darauf gekommen, dass es nicht nur darum geht zu sagen: so nicht, sondern mich an den positiven Vorbildern zu orientieren und mir vorzustellen, was ich denn wirklich will und danach zu leben und zu handeln …
    Was mich aber immer noch triggert, ist die Vorstellung am Ende allein zu sein, daran „arbeite“ ich noch …

    der Makel, der uns übergestülpt wird … bei mir war es, dass ich keinen Vater hatte, worauf sich die Kinder stürzten …

    herzliche Grüsse
    Ulli

    1. Die Orientierung an Vorbildern finde ich wunderbar. Genau da werde ich weiter suchen, mir fällt dazu natürlich sofort Louise Bourgeois ein, aber noch spannender wäre vielleicht wirklich im persönlichen Umfeld zu suchen. Danke für Deine Meinung und für die Geschichte deines Kindheitsmakels. (einen Vater hatte ich übrigens auch nicht, aber das haben mir die Kinder merkwürdigerweise nicht angekreidet).

  4. So seltsam, wie wir hier im Westen mit dem Altern umgehen. Ich finde es so ungesund. In anderen Ländern und anderen Kulturen hat das Alter eine ganz andere Bewertung, was beweist, dass es eine Frage der kulturellen Bewertung, der „Gehirnwäsche“, der Mode, des Zeitgeistes ist. Und genau das finde ich so gefährlich. Wir sind voll manipuliert worden, so und so – schon von klein an – über das Alter zu denken. Auch ich schämte mich übrigens für meine alte Mutter. Der Vater wirkte irgendwie weniger alt … keine Ahnung, warum ich das so wahrgenommen habe.

    Und nun, wo ich selbst älter werde, stelle ich fest, dass ich mit meinen mehr werdenden weißen Haaren auch anders wahrgenommen werde und manchmal den Gedanken in mir fühle: Hoffentlich merken die wenigstens, dass ich gar nicht so alt bin, wie meine Haare sagen.

    Obwohl ich ja das Alter nichts schlimmes finde. Es ist eher so, dass ich weiß, wie andere denken, und in vorauseilender Weise denke, was andere denken könnten. Schräg, nicht wahr?

    Was assoziieren wir mit Altwerden? Ist es die begriffliche Nähe zu Altersdemenz?

    Vergessen wir einfach, dass die alten Menschen auch einmal junge Menschen waren?

  5. Ein wichtiger Hinweis, dass immer noch das Alter von Männern eine andere Bewertung erfährt, wie das Alter der Frauen. Aber gibt es wirklich Länder und Kulturen, in denen „gesünder“ mit dem Alter umgegangen wird? Welche sind das? Das würde mich wirklich sehr interessieren.
    Was Du ansprichst, von der vorausnehmenden Einschätzung aufgrund des sichtbaren Alters kann ich so gut nachvollziehen, das ist schon ein sehr merkwürdiges Phänomen, und so überflüssig. Danke auch für den inspirierenden Artikel zum Thema auf Deinem eigenen Blog.

  6. Mag ja schon sein, dass in gewissen Kulturen, alte Menschen als Weise respektiert und geschätzt werden. Aber, dass das Alter mit Statusverlust einhergeht, entbehrt ja nicht der Logik, der wir alle verhaftet sind. Jungsein bedeutet nun einmal leistungsfähig und gesund sein und solange wir in einer Leistungsgesellschaft leben, wird sich daran auch in unseren Köpfen nichts ändern. Ausserdem haben Frauen über 40-45 rein biologisch gesehen nun einmal ausgedient, während Männer bis ins hohe Alter zeugungsfähig bleiben. Diese Tatsachen sind genetisch und hormonell nun einmal in uns festgelegt und wir können nur versuchen, würdig damit umzugehen und weder uns zu schämen, noch neidisch auf die Jungen zu schauen, denn die können nun wahrlich nichts für die Gesellschaft in der wir leben. Die Frage ist, wie die Zukunft aussieht, wenn Frauen mit 60 noch ihr erstes Kind kriegen und nicht einmal mehr einen Mann dazu brauchen. Logisch wäre, wenn dann alte Männer gedisst und Frauen mehr respektiert werden. Herzlichst, LaRa

  7. Zu Deinen Anmerkungen, habe ich einige Widersprüche, körperlich gesehen hast du selbstverständlich Recht, mit dem Leistungsverlust, aber es gibt sicher auch Dinge, die man erst im Alter erwirbt, deren Nützlichkeit aber vielleicht einfach nicht gesehen und geschätzt wird. Und dass das mit dem Leistungsprinzip, mit dem höher, weiter, schneller und vor allem mehr, schon lange nicht funktioniert, haben wir vermutlich alle längst verstanden, nur haben wir noch nicht den Mut gefunden, uns dieser Tatsache zu stellen, geschweige denn nach Lösungen zu suchen, die eben genau diesen Denkkreislauf verlassen. Ich glaube, was den Umgang mit Alter und Alten angeht, ebenso wie den Umgang mit Grenzen und Flüchtlingen sollten wir endlich anfangen uns auf ein miteinander zu konzentrieren, statt immer noch die Lösungen in Abgrenzung und Grenzen zu suchen, das schürt nur die Angst und macht das Denken eng. Danke für Deinen Kommentar.

  8. Du hast absolut recht! Dieses Leistungsdenken ist schrecklich, ich glaube aber, es sitzt tiefer als wir denken. Ja, es wäre schön, wir könnten diesen Kreislauf endlich verlassen und uns entspannt auf das Altern einlassen mit all den schönen Seiten, die es mit sich bringt. Zum Beispiel, könnte uns dieser ganze Wettbewerb und Firlefanz doch einfach egal sein. Wir müssen bei uns selber anfangen und selbstbewusster werden, denn immerhin haben wir es geschafft, schon so uns so viele Jahre zu leben, ohne komplett durchzudrehen…

  9. Ein Familienmitglied ist gerade 40 gworden und hat nun erfahren, dass sie an einem unheilbaren Tumor erkrankt ist, der gestreut hat und bereits zerfällt.
    Ihr Kind ist 5 Jahre alt und wird ohne Mutter aufwachsen.
    Und plötzlich stellt sich das Altern ganz anders dar. Plötzlich denke ich: was mache ich mir Sorgen über meinen äußerlichen Verfall? Wie kann ich nur Angst vor dem Altern haben? Was würde sie dafür geben alt werden zu dürfen, egal wie.
    Damit möchte ich die Unsicherheit nicht wegreden, den diese (übrigens die längste) Lebensphase mit sich bringt.
    Für mich relativiert es aber alles.
    Wir haben eine Zukunft, wir dürfen sogar altern.

    1. Danke für dieses wichtige und schmerzhafte In Beziehung Setzen. Ich habe mich ein wenig geschämt, nachdem ich Deinen Kommentar gelesen habe, dafür, nicht zu sehen, was auf der Haben Seite steht, wie viel Reichtum und Dinge für die ich dankbar sein kann, und ja auch bin, zu denen auch die Zukunft in der ich altern darf gehört. Ich wünsche euch allen viel Kraft, mit dieser sehr traurigen, sehr belastenden Situation, umzugehen.

      1. Liebe Muetzenfalterein,

        so war es gar nicht gemeint und es besteht aus meiner Sicht kein Grund sich zu schämen für Leid bzw Trauer, das/ die man empfindet über den Verlust eines gewohnten (und gemochten) Körperschemas.
        Es lag mir fern den Schmerz darüber klein reden oder als Banalität abtun zu wollen. Ich selbst kämpfe auch mit dem Älterwerden udn finde es an manchen Tagen ganz schön schwer.
        Nun kommt aber plötzlich und unerwartet dieser, bisher ungesehene, Aspekt des Alterns hinzu. Zu begreifen, was es für ein Geschenk ist auch diese Lebensphase durchleben zu dürfen und mit dem langsamen Altern ja auch behutsam, Schritt für Schritt, Abschied nehmen zu können. Es zu lernen, statt von einem Tag auf den anderen auszuscheiden. Verwelken und nicht aus voller Blüte gehen zu müssen. Da sieht das gefürchtete Alter für mich gleich ein wenig heller aus. Schwer finde ich es trotzdem.

        Danke für Deine anteilnehmenden, warmen Worte.

Hinterlasse eine Antwort zu muetzenfalterin Antwort abbrechen