In die Sprachhaine gehen, Worte für eine Heilung klauen

Es gibt Bücher, die liest man, man liest sie gerne, oder weniger gerne, aber nach dem Lesen sind sie nichts weiter als Bücher, die man einmal gelesen hat. Und es gibt Bücher, von denen weiß man, dass man sie immer wieder lesen wird, dass sie bei jedem Umzug mit müssen, dass sie am besten sogar auf jeder Reise dabei sein müssen. „Schreiben“ von Marguerite Duras ist so ein Buch für mich, oder „Decreation“ von Anne Carson und jetzt, auf jeden Fall und unbedingt Martina Hefters „In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen“.

Was alle drei Bücher gemein haben, ist der Eigensinn ihrer Autorinnen, ihre eigene Stimme. Alle, die sprechen können haben eine Stimme, aber eigene, wirklich ganz eigene zutiefst eigensinnige und gerade dadurch für alle heilsame Stimmen, haben nur wenige. Wenn eine Stimme aber wirklich sie selbst sein darf, ich stelle mir vor, zunächst ist das nur ein schüchterner oder wagemutiger Versuch, dann kommt sie plötzlich verändert zurück, und wenn die Sprecherin das merkt, und ihr immer wieder erlaubt ihre eigenen Wege zu gehen, auch Abwege und Irrwege, und trotzdem immer weiter zu ihr zu stehen, dann wächst sie allen anderen voraus. Nicht über sie hinweg, das ist ja gerade das schöne, das einladende und glücklich machende, sonder wirklich nur voraus: als wollte sie sagen; guckt mal, ich habe hier einen Weg gefunden, kommt ihr mit?

Dann entstehen diese Art Worte, die Leserin entflammen, weil sie eine unerhörte Verbindung schaffen. Im Fall von „In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen“ ist die Verbindung auch noch mit einer Verantwortung gekoppelt, die weit über alle Grenzen hinausgeht, die vielleicht sogar tatsächlich ein wenig allumfassend ist. Indem Martina Hefter sich ernsthaft der Dinge annimmt, die schon so lange schief laufen auf unserem Planeten und dann aber weder resigniert, noch den Kopf in den Sand steckt, sondern diese eigene Stimme erhebt, sich diese Freiheit nimmt. Denn die ist ja da, die Freiheit! Es ist so viel Freiheit in unseren kleinen Leben, dass wir immer wieder jemanden brauchen, der uns das zeigt und uns daran erinnert. Und ich weiß kaum ein Medium, dass geeigneter wäre dazu als das Gedicht. Obwohl, nein, ich sollte Gedicht streichen durch Sprache, denn auch das ist den drei erwähnten Büchern gemeinsam, dass sie sich herzlich wenig um Grenzen scheren, wo hört ein Gedicht auf und fängt ein Essay an? Das sind nicht die Fragen, die weiter führen, weil es Fragen sind, die Grenzen im Blick haben, ohne das Ziel, sie zu überwinden. Während „In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen“ nur eine Grenze zu kennen scheint; nämlich Unaufrichtigkeit, Kleinmut, das Sprechen über andere hinweg. Diese Texte sprechen immerzu zu uns allen, zu denen, die zuhören und auch zu den anderen. Es sind Texte, die niemandem etwas wegnehmen, aber jeder und jedem Einzelnen ganz viel schenken. Und wenn das jetzt pathetisch klingt, ist mir das irgendwie egal, vielleicht wird eine ein bisschen pathetisch, wenn sie noch immer entflammt ist, das geht vorbei, aber die heilsame Kraft, die bleibt.