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Während die Losigkeit bei Rembrandts Altersbildern von großer Freiheit und dadurch ermöglichter Wahrhaftigkeit zeugt, ist sie bei den Worten, die mir spontan einfallen ausschließlich negativ besetzt: Einfallslosigkeit, Verständnislosigkeit, Mitleidlosigkeit, Haltlosigkeit. Das angehängte „losigkeit“ zeigt ein Fehlen an. Allerdings wird es niemals hinter die Begriffe gesetzt, die man wirklich los werden will. Oder, wenn doch, wie z.B. bei Machtlosigkeit, nicht als etwas, das überwunden werden konnte, sondern nur als das Fehlen von etwas, das notwendig wäre, um eine Änderung herbei zu führen.

Als ich Losigkeit nachschlage bietet mir der Sucheintrag als erstes endlich einen Begriff an, dem ich etwas Positives abgewinnen kann; „Regellosigkeit“, und schließt damit sogar den Kreis zu Rembrandt, der sich in seinem Alterswerk ja ebenfalls über die geltenden Regeln hinweg gesetzt hat, um Wahrhaftigkeit zu erreichen. Rembrandts „Losigkeit“, die im Niederländischen (jedenfalls von meinem Übersetzungsprogramm) mit Lockerheit übersetzt wird, war eine Reaktion, seine Reaktion, auf all das, was er verloren hatte. Er hat dem Verlust die Freiheit entgegen gesetzt. Wenn ich ohnehin alles verloren habe, hat er vielleicht gedacht, dann habe ich nichts mehr zu verlieren, und also die Freiheit zu tun und zu lassen, was ich will, so wie ich es will. Und wenn das kein Trost ist, denn weiß ich nicht, was Trost sein könnte.

Rembrandt

Das Alterswerk eines desillusionierten Mannes. Der Ruhm verflogen, die Frau gestorben, relativ mittellos obendrein. Auf der Leinwand reagierte Rembrandt auf diese Situation mit „lossigheydt“, wie die Holländer es nennen. Er malte grob. Und genau das macht seine Spätwerke in unseren Augen groß. Weil sie, wie Hanno Rauterberg feststellt, davon erzählen, dass sich das Eigentliche nicht vom Pinsel fassen, nicht festhalten lässt.

„Im Grunde“, schreibt Rauterberg, „zieht er seine Bilder hinüber in ein Futur II: Sie werden angeschaut worden sein. Bis dahin aber bleiben sie offen.“

Dass diese nicht nur eine Grundlage für Größe in der bildenden Kunst, sondern ebenso für die Literatur und vermutlich auch für die Musik (davon verstehe ich allerdings so wenig, dass ich mich nicht wirklich äußern will) gilt, untermauern Rauterbergs abschließende Sätze über Rembrandts Schluderstil anlässlich einer noch bis zum 17. Mai laufende Ausstellung in Amsterdam in der Zeit vom 12. Februar:

„Niemandem erspart er etwas, auch sich selbst nicht. Seine Bilder sind Bilder des Zweifels, und wenn sie den Menschen bis heute anziehen und nicht mehr loslassen, wenn sie ungemein lebendig scheinen, dann vor allem deshalb, weil das Leben jederzeit entweichen könnte. Nichts als große, braune Dunkelheit wird dann zurückgeblieben worden sein. Auch das gehört zu Rembrandts Futur II.“

 

17. Dezember

Mit ziemlicher Sicherheit bezieht sich Knausgard auf dieses Bild Rembrandts, wenn er schreibt: „[…] dieses eine Bild in der National Gallery ist einen Hauch klassisch realistischer und wirklichkeitsnäher gemalt, steht dem Ausdruck des jungen Rembrandt näher. Was das Bild jedoch darstellt, ist der Alte. Es ist das Alter. […] Doch die Augen sind klar, wenn auch nicht jung, so doch außerhalb der Zeit stehend, die dieses Gesicht ansonsten prägt.“

Natürlich muss ich sofort an Peter Kurzeck denken, der ein großer Verehrer Rembrandts war, immer wieder taucht Rembrandt in seinen Büchern auf. Und die Sache mit den Augen erinnert mich an dieses Video, das ich im Heinz Nixdorf Museum gesehen habe, in dem ein Mensch im Zeitraffer gealtert ist, und wie ich da dachte, dass es eigentlich nur die Augen sind, die mich erkennen lassen, dass es derselbe Mensch ist, alle Altersstufen hindurch. Knausgard geht noch weiter, er behauptet: „Das im Menschen, was die Zeit nicht anrührt und woher das Licht in den Augen kommt“, sei eben die „Seele“.

Ich habe es natürlich nicht durchgehalten, „Sterben“ erst in Berlin anzufangen, erst wenn die ausstehenden Arbeiten erledigt sind. Und ich könnte jetzt noch seitenlang schreiben, über diese Lektüre, darüber wie er den Kampf beschreibt, der das Leben ist, von dem vielleicht nur die Augen unberührt bleiben. Aber das verschiebe ich auf morgen.