Die kleine Frau stellt sich an.
Später stellt sie sich aus.
Dann verschwindet sie.
Aussagen engen sie ein.
Ist das etwas anderes
oder die Konsequenz davon,
Frau zu sein?
Die kleine Frau stellt sich an.
Später stellt sie sich aus.
Dann verschwindet sie.
Aussagen engen sie ein.
Ist das etwas anderes
oder die Konsequenz davon,
Frau zu sein?
Erst muss man alt werden, dann kann man die Taten verschieben auf später.
Die kleine Frau zählt ihre Falten, dann hält sie ihren kleinen Handspiegel so,
dass er die Sonne reflektiert.
Ich wünsche mir Rapunzel und Schneewittchen an den Geburtstagstisch von Dornröschen, an dem ohnehin schon ein Stuhl fehlt.
Wir dürfen nicht aufhören, die Geschichten immer anders zu erzählen, sagt sie.
Um uns dann der Wirklichkeit zu stellen.
Erst ist man schön, dann ist man jemand, bei dem man sich vorstellen kann, dass er früher einmal schön gewesen ist. Die kleine Frau wirft ihr nicht vorhandenes Haar in den Nacken und lacht. Sie lacht über all die (statistisch bis auf zwei Stellen hinter dem Komma genau berechenbaren) Unwahrscheinlichkeiten und ihr sicheres Eintreten (früher oder später). Sie lacht über die entgleisenden Gesichter, während sie die Weichen stellt. Wer bin ich, und wie hättest du mich gern, fragt sie den kleinen Mann, und legt ihm den Finger auf den Mund. Hier endet die Geschichte und der Traum beginnt.
Meine kleine Kapelle der Grausamkeit, und wie die kleine Frau sie stürmt (die Worte flossen aus mir heraus, überschwemmten die Zuhörer. Kein Applaus, denn als ich fertig war, waren alle in diesem Wortschwall ertrunken. Niemand mehr übrig, der applaudieren konnte. Nur Stille.)
Von Tieren behauptet man, sagt die kleine Frau, sie hätten keine Scham. Das, und ihr fehlendes Wissen um den Tod, unterscheide sie von uns. In Wirklichkeit aber sind sie immun gegen die Zeit.
Erst muss man die Zeit als Macht über das eigene Leben akzeptieren, dann kann man Reihenfolgen, Listen mit Reihenfolgen, aufstellen und sich später schämen, dass man sie nicht eingehalten, dass man sich nicht an sie gehalten hat. Das, sagt die kleine Frau, ist der eigentlich Unterschied zwischen Mensch und Tier, zwischen unglücklich und glücklich, zwischen lebendig und verkopft.
Die kleine Frau ist ein einziges Abenteuer. Erst muss man sich überwinden, sagt sie, dann reißt der Faden von allein und alles, was andere Alltag nennen, wird auf einmal zum Abenteuer.
Es ist absolut nicht unmöglich an einem ganz normalen Tag in diesem abenteuerlichen kleine Frau Leben 10.000 € auf der Straße zu finden und ohne lange zu überlegen, das Geld in einen Koffer zu packen, und es, weil gerade Winter ist, an die Obdachlosen in der Stadt zu verteilen. Am darauffolgenden Tag legt die kleine Frau ihre eigene Haut ab, was ihr ungeheuer schwer fällt, weil sie sich so wohl darin fühlt, um sorgfältig und wohlüberlegt in die Haut Marguerite Poretes zu schlüpfen, einer Frau, die so eigensinnig war, dass sie für ihren Glauben auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Nicht, dass die kleine Frau masochistisch veranlagt wäre und gerne brennen möchte, aber sie wüsste gern, wie sich ein so unerschütterlicher Glaube anfühlt.
Wiederauferstehen würde sie als Rabe, auch weil sie glaubt, dass Raben eher keine Träume haben, jedenfalls keine, an die sie sich erinnern können. Zwar hat noch nie ein Traum das Leben der kleinen Frau beeinflusst, aber es gab zwei Träume aus ihrer Kindheit, an die sie sich noch heute lebhaft und nicht ohne ein leichtes Schaudern, erinnert.
Blöd wäre nur, dass sie als Rabe keine Bücher mehr lesen könnte, und selbst ihr absolutes Lieblingsbuch „Schreiben“ von Marguerite Duras, kann die kleine Frau sich noch nicht auswendig hersagen. Obwohl das auswendige Hersagen von Büchern eine der wenigen Möglichkeiten wäre, sich in einem anderen Land ohne Sprachkenntnisse durchzuschlagen, die sich die kleine Frau vorstellen kann. Aber eventuell könnte sie Bilder malen, die so unbeholfen komisch sind, dass der eine oder andere ihr aus Mitleid eine Mahlzeit spendieren würde. Allerdings wäre all das nicht das Richtige, weil die kleine Frau so gerne zuhört, und vielleicht, denkt sie, kann man das sogar in einem fremden Land, mit Sprachen, die man gar nicht spricht, aber trotzdem ein wenig versteht?
Wenn es in diesem Land Jogurth, Honig, Äpfel, Mehl, Eier, Zucker und Backpulver gäbe, könnte die kleine Frau auch die einzige Backware, die ihr immer gelingt, und die sie sogar relativ gerne zubereitet, herstellen; Apfelmuffins. Und zum Dank für die kleinen Apfelküchlein würde dann Fischer-Dieskau unter ihrem Balkon stehen und „Der Leierkastenmann“ aus Schuberts Winterreise für sie singen.
Viel wichtiger aber wäre, dass niemals schwarzer Tee, Lakritze, Knäckebrot, Milch und Salz ausgehen. Um das sicher zu stellen, würde die kleine Frau sich sogar überwinden, in eine Verkleidung zu schlüpfen, am besten in die der kleinen Frau, damit sie garantiert niemand wieder erkennt.
Die kleineFrau ist heute Text des Tages in Julietta Fix wunderbarem Projekt „Women only“.
Wir verdammen die Dämmerung. Während wir die Ideen begraben und dadurch begreifen. Es war einmal ein Mädchen, mit einem roten Stift. Während sie mir mit ihrem roten Stift ein Bärchen malte, starb ihre Mutter. Sie hatte zwei Brüder, die fast identisch aussahen, und von einem Tag auf den anderen erwachsen wurden. Was man so Schicksal nennt, während man verschwindet. Und schwindelt. Und je mehr man schwindet, um so verzweifelter hält man sich an seiner Vergangenheit fest. Kein Wunder, wenn das Gesicht im Spiegel immer fremder wird. Die kleine Frau entfremdet sich und verliert ihr Spiegelbild, um das Gesicht zu wahren. Wie die Dinge auf einmal laufen, wenn man sich erlaubt, sie nicht zu führen. Wohin soll das führen? Als wären wir nicht alle Wasserwesen kurz vor dem Verdursten.
Ein Dorf, abgeschnitten von allen anderen Dörfern.
Darin ein Haus.
Ein Fenster. Eine Tür.
Darin eine Frau.
Ein Schweigen.
Eine Landschaft.
Erst muss man überlaufen, dann kann man streichen.
Wege bahnen.
Fenster schließen, um eine Tür zu öffnen.
Die kleine Frau betrachtet ihre Hände.
Alles ist voller Gegenwart, sagt sie.
Also haltlos.
Und trotzdem haben wir Hände.
Und wissen im Grunde genau wofür.
[Wortschau. Der fröhliche Wortberg.]
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