Ich will immer so viel, alles auf einmal, und dann – natürlich – gelingt nichts. Ich weiß das, und nicht erst seit gestern, trotzdem komme ich Tag für Tag weniger dagegen an. Gestern habe ich mir meine Einsamkeit eingestanden. Eins der letzten Tabus unserer Tage – obwohl ich auch solchen Formulierungen misstraue. Vermutlich gibt es viel mehr Tabus als wir wissen, sobald wir erkennen, da ist ein Tabu, ist es ja bereits auf dem Weg diesen Status zu verlieren. Auch wenn das länger als ein Menschenleben dauern kann. Das Verrückte bei mir ist ja, dass ich einsam bin, aber nicht sicher, ob ich darunter leide, oder ob ich nur darunter leide, dass ich auch in diesem Punkt einfach nicht der gesellschaftlichen Norm entspreche. Ich habe das meinen Kindern nie bieten können: große ausgelassene Familienfeste, weil der Teil der Familie zu der ich Kontakt habe sehr klein ist, und besonders ausgelassen sind die wenigsten von ihnen. Einmal habe ich eine größere Geburtstagsfeier veranstaltet, vielleicht 15 Menschen waren da, es war sogar sehr schön, das waren Leute, die ganz unterschiedlich waren, und doch haben sich alle gut miteinander unterhalten, aber gleich zu Anfang der Feier hat sich mein jüngster Sohn verletzt und mein Mann musste mit ihm in die Notaufnahme fahren. Es war dann nicht schlimm, die Wunde wurde verarztet und danach war er fröhlich wie immer, aber trotzdem war das die letzte größere Feier. Das liegt nicht daran, dass ich nicht gerne Gäste habe. Ich habe gerne Gäste. Aber offensichtlich habe ich keine Begabung, Freundschaften zu pflegen, so zu pflegen, dass sie unterschiedliche Lebensphasen und viele Jahre überleben. Also gehen sie ein die Freundschaften, ohne großen Krach meistens (das gab es auch, aber extrem selten), oder vegetieren so vor sich hin, man kennt sich schon ewig, also denkt man gegenseitig an die Geburtstage, wünscht sich frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr, und ab und zu versucht man sich noch einmal zu verabreden, um dann zu merken, eigentlich hat man sich längst nichts mehr zu sagen.
Und jetzt möchte ich etwas anfangen mit dieser Erkenntnis, dass ich so schlecht darin bin, Freunde zu behalten und vielleicht noch schlechter darin, neue Freundschaften zu schließen, aber es geht nicht. Ich erinnere mich an meine letzte Reha, wie überall um mich herum Grüppchen entstanden, wenigstens Kurzzeit Zweckfreundschaften, und ich wieder einmal merkte, dass ich irgendwie nirgendwo dazu gehöre, dass ich nicht kompatibel bin. Und wenn ich ganz ehrlich bin, fühle ich mich dann nicht einsam, sondern falsch, ich schäme mich, dass ich so anders bin. Und wirklich: am meisten schäme ich mich dafür als Mutter. Ich hatte immer diesen Traum von einem großen offenen Haus, in dem ständig Menschen ein und aus gehen, Zeit miteinander verbringen, Gespräche führen. Aber die kurze Zeit, während der unser Küchentisch wirklich voll war, fast jeden Tag, und ein reges Kommen und Gehen herrschte, verdanke ich meinen Kindern. Es waren ihre Freunde, die hier ein – und ausgingen.
Und vielleicht bin ich also gar nicht einsam, sondern habe nur die falschen Ansprüche an mich. Ich will so viel und dann gelingt nichts? Möglicherweise ist nichts verkehrt daran, so zu sein. Nur den falschen Ansprüchen hinterher zu rennen, die eigentlich gar nicht die eigenen sind.