Was wir uns andichten. Um dann mitten im Satz (vom Gedanken verlassen oder überrascht?) abzubrechen.
Monat: August 2017
Ron Mueck

I never made life-size figures because it never seemed to be interesting. We meet life-size people every day.
Ich glaube, und das ist mir erst während der angenehm kontroversen Kommentare hier bewusst geworden, dass es diese Mischung aus Gegensätzen ist, die mich an Muecks Skulpturen fasziniert. Die liebevoll, sorgfältig, sehr genaue und damit auch irgendwie zärtliche Arbeitsweise einerseits, und die Rücksichtslosigkeit, in dem, was er darstellt, auf der anderen Seite. Denn was er darstellt, ist das nackte Leben, ungeschützt, vom Anfang bis zum Ende.
Vom Sinn eines Tagebuchs
„Wir leben auf einem laufenden Band, und es gibt keine Hoffnung, dass wir uns selber nachholen und einen Augenblick unseres Lebens verbessern können. Wir sind das Damals, auch wenn wir es verwerfen, nicht minder als das Heute –
Die Zeit verwandelt uns nicht.
Sie entfaltet uns nur.
Indem man es nicht verschweigt, sondern aufschreibt, bekennt man sich zu seinem Denken, das bestenfalls für den Augenblick und den Standort stimmt, da es sich erzeugt. Man rechnet nicht mit der Hoffnung, dass man übermorgen, wenn man das Gegenteil denkt, klüger sei. Man ist, was man ist. Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. Schreiben heißt: sich selber lesen. Was selten ein reines Vergnügen ist; man erschrickt auf Schritt und Tritt, man hält sich für einen fröhlichen Gesellen, und wenn man sich zufällig in einer Fensterscheibe sieht, erkennt man, dass man ein Griesgram ist. Und ein Moralist, wenn man sich liest. Es lässt sich nichts dagegen machen. Wir können nur, indem wir den Zickzack unserer jeweiligen Gedanken bezeugen und sichtbar machen, unser Wesen kennenlernen, seine Wirrnis oder seine heimliche Einheit, sein Unentrinnbares, seine Wahrheit, die wir unmittelbar nicht aussagen können, nicht von einem einzelnen Augenblick aus -.“
(Max Frisch – Tagebuch 1946 – 1949)
Ich ohne die Welt
Draußen war es grau. Drinnen waren diese Erinnerungen. Sie waren nicht willkommen. Sie waren auf dem Weg zu verschwinden, d.h. sie waren treue Begleiter. Lebenslang.
Zu den Erinnerungen trat dieser Satz. Nicht um sie auszulöschen, nicht einmal um sie zurückzudrängen. Um ihnen Gesellschaft zu leisten, damit sie sich wohl fühlten vielleicht. Der Satz kam aus einem Buch. Ich hatte ihn arglos gelesen, wie die meisten Sätze, die ich sofort vergaß. Besonders die, die ich mir merken wollte, weil ich mir etwas davon versprach, worüber ich später nachdenken wollte.
Dieser Satz blieb. Er handelte von der Vorstellung, tot zu sein. Davon, dass tot zu sein nicht bedeutet: die Welt ohne mich, sondern: ich ohne die Welt (und der Satz stand in einem Buch, das Olga Martynova geschrieben hat. Ein poetisches Buch, in dem trotzdem Taschentelefone und Emails und Weblogs vorkommen und das ich schon aufgrund dieser Tatsache erstaunlich fand)
Der Satz, den die Martynova losgeworden war, indem sie ihm einem „schlafwandlerisch und nie ganz nachvollziehbar“ redenden Maler angedichtet hatte, war nun also bei mir eingezogen und fühlte sich offenbar sehr wohl bei meinen gastfreundlichen Erinnerungen. Es fühlte sich so wohl, dass es hemmungslos Fragen stellte. Mir Fragen stellte. Die Erinnerungen sahen darüber hinweg. Weil sie über alles erhaben waren.
Wie das gehen sollte, die Welt ohne mich in meiner Vorstellung. Die Welt ohne meine Vorstellung. Die Erinnerung bedrängten solche Fragen nicht. Mich schon.
Dann kam der Alltag, der ging einfach weiter, ganz ohne meine Vorstellung und nachts kam der Traum. Ich hatte von Flohmärkten geträumt und vom Tod. Der Tod ein Tauschgeschäft, das auf einem Flohmarkt abgewickelt wird. Und das Leben ist vielleicht etwas ganz ähnliches.
Lost memories (26)
Leeres Gefäß

Es gab jene, die fürchteten mein Haar.
Es war rot, wie dieser Faden, mit denen sie ihre Geschichte
dem Stoff übergaben, es machte mich unverwechselbar.
Ich verlor den Kopf, wurde ein leeres Gefäß.
Man zog mich an.
Ich aber zog mich zurück in die Geschichten,
die mein Gesicht haben und kein Geschlecht.
Die wir einander schweigend erzählen.
Mit jedem Blick.
Was wäre wenn Hänsel und Gretel statt der Kieselsteine die Zeit aufgelesen hätten
Was man alles so auflesen kann. Den Müll den andere im Wald liegen gelassen haben, die Blümelein am Wegesrand, das stoßweise Atmen aus dem Gebüsch, die Buchstaben aus der Suppe, um damit eine neue Geschichte zu legen etc. pp.
Der Regen legte sich stufenlos auf unser Gemüt. Auserlesen. Jetzt hatten wir die Abenteuer hinter uns gebracht und vor uns lag ein Leben das nichts Nennenswertes mit uns im Schilde führte.
Wir könnten einander Namen geben, aus der Geschichte austreten. Falschen Spuren folgen, oder die Hexe im letzten Moment aus dem Ofen ziehen. Aber wir tun nichts. Wir pflegen unsere dummen Namen und schauen stumm in die Luft. Als warteten wir darauf, dass das Leben uns aufliest.
Ich sammle jetzt Türgriffe
Ich saß auf dem Sofa, sah dem Regen zu und dachte daran, wie oft ich mich jetzt schon aus meinem Leben ausgeschlossen hatte, und immer wieder vor der Tür stand und reinwollte. (ich sammle jetzt Türgriffe. Hast du das gewusst?)
Ich stellte mir vor und dann ging ich durch diese Vorstellung hindurch, als sei es eine Wand. (Ich kann jetzt durch Wände gehen. Hast du das gewusst?) Ich stellte mir vor, wie ich mich mit mir an einen Tisch setze. Der Tisch dunkel und viereckig, aus Holz. Wie wir uns gegenübersitzen, uns kampflustig anschauen, wie jede von uns darauf wartet, dass die andere den Anfang macht, wie wir langsam müde werden und weicher. Und schließlich aufstehen, weil wir merken, dass keine von uns der anderen etwas zu sagen hat.
Warten
Dann musst du warten, sagte er. Ein ganzes Leben lang haben wir dir beigebracht, wie Warten geht. Das Warten ist der einzige Weg, den jeder betreten kann.
Deine Mutter, sagte ihr Vater, die glaubt an Flügel, an Engel, an den Wind. Aber das sind nur andere Namen für das Warten, glaub mir.
Es ist wichtig, dass eine glaubt, wenn sie wartet. Dann verlieren die Träume die Farbe und ergeben ein Bild.
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