(12)

Sie begann sich zu verlieren, an die Vernunft. Alles wollte ihr Verstand erklären, bevor sie die Möglichkeit hatte, es zu empfinden. Wenn sie sich zu wehren versuchte, schickte der Geist ihr Erinnerungen. Sie sollten ihr zeigen, was sie verloren hatte, wie viel sie versäumt hatte, und in wie vielen Fällen sie jämmerlich versagt hatte.

Manchmal wurde sie aufmüpfig und fragte: Was ist Versagen? Etwas Unausgesprochenes? Ein Bild, auf dem man nichts erkennt? Eine Liebe, die man nicht einmal zurückweist, weil sie einen gar nicht erst erreicht? Eine Nachricht, die sich selbst auslöscht, bevor sie über die albern schmerzhafte Selbstbezogenheit hinausgehen kann?

Jeder Buchstabe ist ein Schritt zu auf deinen Tod, mahnte der Verstand, und sie glaubte (und fühlte!) es selbst nicht, wenn sie antwortete: Aber jeder dieser Schritte heißt Leben, selbst der letzte noch. Erst nach den Schritten, dem Atem, ist Tod.

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(11)

Es gab diese Nachrichten. Jeden Tag neue Attentate, Menschenrechtsverletzungen und unschuldig Getötete, und wir lebten einfach weiter, kochten, aßen, schauten auf unsere Handys. Wir waren ratlos. So sehr, dass wir es selbst nicht mehr wahrnahmen.

17. Februar

Ein auffallend hübsches Mädchen, blonde Haare unter der Mütze, ernst und sehr verletzlich, sitzt bei drei Frauen. Sie schweigt und scheint nicht zuletzt wegen ihrer Schönheit nicht dazu zu gehören. Früher hätte ich mir Geschichten über sie ausgedacht. Heute bin ich erleichtert, als ich sehe, wie sie in der Nase bohrt.

(10)

Sie fürchtet sich. Sie will gefallen. Aber sie spürt, wie ihr das immer weniger gelingt. Es ist nicht möglich, anderen zu gefallen, solange man sich selbst nicht gefällt, dieser Satz geht ihr durch den Kopf, ohne wirklich in ihr Bewusstsein zu dringen.

 

Wenn ich schreibe bin ich bei den Menschen, nicht im Gefängnis,

schreibt der seit Jahrzehnten zu Unrecht Inhaftierte. Was fängt man an mit Sätzen, die man versteht, ohne sie zu begreifen?

 

Auf einmal wird ihr Herz weit, sie spürt ihr Blut pulsieren. Sie sieht den blauen Himmel, spürt die klare kalte Luft und für einen kurzen Moment spürt sie wirklich, dass nichts fehlt, dass alles in Überfülle vorhanden ist. Es ist nur ihr Denken, das die maßlose Freude und Lebenslust begrenzt, zusammenstutzt, und zu etwas Unbedeutendem werden lässt. Zu einer Leere, die nur durch Leistung gefüllt werden kann.

Stillstand

Das ist alles falsch. Es sind die falschen Gedanken, die zu den falschen Bildern und immer wieder zu fehlgeleiteten, nicht nur fehlerhaften Sätzen führen. Sätze, die in die Irre führen. Statt eine Richtung zu weisen.

Sätze, die mit all ihrer Fehlerhaftigkeit, Fehlbarkeit, feststehen, die zum Stillstand verführen. Dabei muss es doch weitergehen.

Es ist nicht so, als hätte man sich lediglich verschrieben, das könnte man ausstreichen, darüber könnte man hinweggehen. Hier jedoch liegt der Fall anders. Im wahrsten Sinne des Wortes: Hier liegt nichts mehr brach, worauf man aufbauen könnte. Hier liegt alles still. Still und lahm. Das nennt man Stillstand. Und wenn man daran zu glauben beginnt, ist es für alles zu spät.

Eitelkeit

„Es gibt Projekte, die ich schon seit Jahren vereitle. Und es ist nicht im geringsten ein Zufall, dass in diesem Begriff das Scheitern und die Eitelkeit sich vereinen. Was bedeutet, dass der Begriff „vereiteln“ mehr als alles andere (ein schönes Wort, ein treffender Ausdruck etc. pp.) eine Erklärung ist. Den Grund nennt, der ca. 90 Prozent allen Scheiterns zugrunde liegt. Die Eitelkeit. Die Leere eines Egos, das es nicht versteht, von sich abzusehen.“

Das habe ich vor mittlerweile zwei Jahren geschrieben. Es ist ungebrochen aktuell. Was nicht heißt, dass es zwei Jahre lang Stillstand gegeben hat. Es ist wohl vielmehr so, dass man sich kreisend um die Erkenntnisse, um die Lektionen, die man zu lernen hat, bewegt. Ich bleibe dran. Es zu erkennen, ist der erste Schritt, aber ein Ziel kann nicht erreicht werden, höchstens das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Dann kann man im besten Fall jeden einzelnen Schritt würdigen und sich am Weg erfreuen, sogar ab und zu vergessen, wohin er führt.

Zukunft

Ich weiß nicht, was für ein Wort das ist: Zukunft. Eine Zunft, eine Kunde. Etwas, das funkelt. Störsignale sendet, die die Gegenwart verzerren. Etwas, in dem man Zuflucht sucht, während man sehr still am Abgrund eines wunderbaren Gebirges steht. Einen Stein muss man anheben, aber welchen? Und weil man nicht spürt, welche Entscheidung die richtige ist, steht man still, wächst zitternd in den Boden bis die Lawine einen überrollt. Begräbt. Und keine Raum mehr. Nirgends. Nur fremdbestimmte Mitte. In der man feststeckt. Rundherum.