29. Januar

Früher sind die Geschichten aus mir herausgepurzelt. Ich bin aufgewacht, und schon vorher waren die Worte da, meine Hand bewegte sich einfach so über das Papier, willenlos irgendwie und unglaublich befriedigend und befreiend. Wann habe ich das verloren und warum?

Es muss etwas mit Erwartungen zu tun haben. Alles, was mir das Leben schwer und traurig macht, hat mit Erwartungen zu tun. Sobald die Erwartungen weg sind, wird alles leicht und hell und unerheblich. Als wären die Erwartungen das Brett vor dem Kopf, das jeden Blick verstellt und alles eng und beschränkt macht. Aber offenbar genügt es nicht, das zu wissen, um das Brett endgültig los zu werden. Vielleicht ist das „Ich“ dieses Brett und deshalb kann Kunst und Freiheit und Lust und alles, was wirklich schön und berauschend ist, nur entstehen, wenn man das los wird, selbstlos, das Icht nichten, wie Mechthild von Magdeburg es nennt, Simone Weil, Marguerite Porete. Diese Echtheit, die immer dann ganz selbstverständlich da ist, wenn man sich verliert, hingibt.

Mir ist klar, ich bin unruhig. Mir ist klar, ich bin durchsichtig, wie trübes Wasser. Mir ist klar, ich treibe auf dem Wasser, das mein Leben ist, egal wie sehr ich rudere, es ist vergeblich.

 

 

 

13 Gedanken zu “29. Januar

  1. Erwartungen als das Gegenteil von Hingabe, bzw. als das, was sie in Fesseln legt. Ich kenne das sehr gut.
    Man muss das ich nichten, aber wie? Allein das müssen bringt das Ich so unentrinnbar in den Vordergrund.

    Manchmal spendet mir die vergeblichkeit allen Tuns Trost. So muss ich mich nicht länger mühen und darf mich treiben lassen, ziellos und ohne Erwartungen.

    Dein Text ist traurig und stark.

    1. Ja, dieses Paradox, das du beschreibst, beschäftigt mich auch immer wieder. Loslassen ist wohl die Antwort. Und das übe ich einfach jeden Tag, meistens scheitere ich, aber manchmal gelingt es, und das ist jedes mal wieder wunderschön. Danke für das traurig und stark. Diese Adjektive mag ich sehr für diesen Text.

  2. Also, ich habe mich unzählige Male in meinem Leben verloren, ob das dann „echter“ ist, auch dies bezweifle ich…ach, und diese Hingabe, an ein Du? Schwierig, dann ist man ja wieder gefangen…ich neige zur Vergeblichkeit, wie Tikerscherk sagt…eine Hingabe an die Vergeblichkeit oder die Geich – gültigkeit allen Tuns, das spürt sich tröstend an und relativ freigebend. Ein so wahrhaftiger Text, liebe Elke, geht mir sehr sehr nahe und jedes Wort schwingt in mir nach…

    1. Nicht Hingabe an ein Du, Hingabe an das Leben, an die Vergänglichkeit, Vergeblichkeit, die Gegenwart, das vor allem. Vielen Dank, Margarete, besonders dafür, dass du meinen Text wahrhaftig nennst und ihn schwingen lässt…

  3. was nährte früher, was vermag heute zu nähren? mit welchen erwartungen – früher und heute. liegt es allenfalls auch an der zeit – der zerronnen, die oft so unbeschwert dahinfloss und der weniger werdenden, die einem (mich) in ihrer endlichkeit / begrenztheit beschwerter macht und die unbeschwerte sehnsucht nach kunst freiheit und lust wiederum noch grösser werden lässt?
    danke fürs teilhaben an deinen gedanken.

  4. Vielleicht aber gilt es vornehmlich, das Vergleichen zu lassen. Früher war früher. Jetzt ist jetzt und jetzt bist Du anders. Und wenn Du das Jetzt ganz unverstellt betrachtest, vielleicht kannst Du dann eine neue Qualität entdecken? Die es hat, weil Du weiter bist. Vielleicht, weil Du Tiefe gewonnen hast oder mehr Weisheit. Ich weiß es nicht, kenne ja nur Deine traurigen Zeilen. Aber, wer so ein Talent hat, so schreiben und so tief in das Leben blicken kann, der muss nicht traurig sein. Der hat ein Geschenk bekommen. Liebe Grüße aus der Provinz 😉

    1. vielen Dank für Deine Zeilen. Du hast natürlich Recht, die „Lösung“, die Heilung, liegt darin, ganz in der Gegenwart aufzugehen, du hast das bei dir drüben in einer Antwort auf einen Kommentar sehr schön ausgedrückt, nur gelingt das eben nicht immer. Und ich verstehe auch deinen Widerstand gegen die Traurigkeit, die in den Zeilen sicher auch liegt, mir geht das bei fremden Texten auch immer so, aber eigentlich mag ich die Traurigkeit, oder jedenfalls die Melancholie, sie bereichert das Leben durchaus, jedenfalls, wenn man nicht ständig mit aller Kraft versucht dagegen anzukämpfen. Du hast Recht, ich muss nicht traurig sein, aber ich darf es ab und zu. 😉
      Ganz herzlichen Dank für Deine schönen Zeilen.

      1. Ich will Dir nicht die Traurigkeit ausreden. Sie kann eine wunderbare nachtschwarze, sanftflügelige Freundin sein. Es ist nur, dass ich gerade erfahre, wie gut es ist, sich nicht mehr zurückzuwünschen, was vorbei ist und herbei zu sehen, was noch nicht ist. Mir ist das Jetzt auf einmal so reich und voller Dinge. Liebe Nachtgrüße vom Rand der Berge, wo der Regen auf dem Dachfenster über meinem Kopf ein trommelndes Konzert gibt und der Sturmwind ächzend unter den Rahmen fährt…. So schön…

  5. Ich mag diesen Text mit seinen tiefen Erkenntnissen und wesentlichen Weisheiten sehr. Am Wort „vergeblich“ bleibe ich hängen, frage mich, was genau und wie genau du es meinst, was du damit meinst.
    Diese letztendliche Vergeblichkeit hinter allem? Ist sie nicht letztlich eine Befreiung, immer mehr uns selbst immer echter ausdrücken zu dürfen?
    Oder ist es Verzweiflung, zu erkennen, dass letztendlich eben alles vergeblich ist.

    Steckt nicht gar das Wort Vergebung irgendwie da drin? Und ist vergeblich eine Art Rückkehr auf den Nullpunkt, so wie wir eine Waage auf Null stellen, bevor wir das Mehl für den Kuchen abwägen?
    Wir kochen um uns zu nähren, um nicht Hunger zu leiden. Vielleicht ist auch das Schreiben so ähnlich? Vergeblich, weil wir nie fertig sind, weil wie bald wieder hungrig sein werden?

    Einfach ein paar Assoziationen zu deinem Text … Danke für deine feinen Text!

    1. Wesentliche Weisheiten klingt sehr schön, auch wenn es mir eine Nummer zu groß erscheint. Und bei der Vergeblichkeit bist du ja sehr in Übereinstimmung mit Tikerscherk. Ich mag den Gedanken auch sehr, dass die Vergeblichkeit letztendlich eine Befreiung ist. An sich ist sie vermutlich, wie fast alles im Leben, neutral, und nur wir sind es, die dem Begriff seine Bedeutung geben, mal in Richtung Verzweiflung, mal in Richtung Befreiung. Weil es keine Wahrheiten gibt nur all die kleinen und großen Paradoxe aus denen unsere Leben gemacht sind.

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