Der Mann sah sie düster an, seine Brille rutschte, die Haare, dachte sie, sind garantiert nicht echt.
„Schließlich sind Sie schon lange nicht mehr jung“, sagte er.
Und trotz allem, obwohl es das war, was sie jeden Morgen dachte, wenn sie in den Spiegel sah, dort ihr vierzigjähriges Gesicht erwartete, und jedes Mal aufs Neue enttäuscht war, wie viel faltiger, aufgedunsener und formloser, wie viel älter ihr Gesicht ihr tatsächlich entgegenblickte, trafen sie die Worte.
„Was schlagen Sie vor“, fragte sie, „soll ich mir auch die Haare färben lassen?“
Ein Mundwinkel zuckte, bevor der Mann lachte.
„Ich bin keine Kosmetikerin“, er schüttelte den Kopf.
„Finden Sie sich einfach mit der Wahrheit ab“, sagte er.
Und klang dabei ein klein wenig traurig.
Und dann lest mal, wie großartig man das Altern auch beschreiben kann, wenn man Anne Dorn heißt, z.B.
Ich weiß nicht, ob ich das darf, aber ich möchte gerne ihr großartiges Gedicht aus dem Jahrbuch der Lyrik 2015 mit euch teilen:
Die Mühe sich einzustimmen,
ganz auf den heutigen Tag
Hallo Sie, der oder die Sie
heute mit mir gesprochen haben,
per Telefon mir gesagt,
dass ich gut klinge, richtig gut!
Schön, dass es mir gut geht. Ach –
kommt doch vorbei. Ich freue mich
wenn wer vorbeikommt.
Wir kommen sofort ins Gespräch, es gibt Tee.
Vielleicht, dass meine linke Hand in die Luft greift,
dahin, wo der Stuhl sonst steht, den ich dem Menschen,
der darauf nun Platz nimmt, selbst
entgegengeschoben habe.
Mein Gast hat mich freundlich angeschaut
und ich ihn, er hat mir seine Rechte entgegengestreckt
und ich ihm die meine, ja, dieser Drahtseilakt plötzlich!
Ich muss ja nun unbedingt – irgendwo – immerzu
Halt finden. Kein Schritt mehr möglich,
ohne die Welt zu begreifen, ein Stück von ihr
in den Fingern zu habend: Jetzt diese rasch gehaschte
Hand, diese Herzlichkeit also.
Wer schüttet das kochende Wasser
genau in diese Öffnung der Kanne? Ich rede und rede
in einer so weit von meinem Körper entfernten Tonart,
mit dieser Stimme, die mir als vermeintlicher Segen
im Leib haust. Unmöglich, damit zu schildern,
dass ich nunmehr immer präsent, äusserst
anstrengend stets gegenwärtig lebe,
damit kein Unglück geschieht, kein Sturz, keine
Verbrennung, Ohnmacht oder dergleichen und
Niemandem Vorwurf zu machen ist, wenn er oder sie
sich täuschen liessen vom hellen Wortlaut. Er
wie auch sie hier unbedacht aus – und eingehen,
dies und das besprochen wird, offen gelassen alles
da sich so viel bewegt und unübersichtlich bleibt,
lebendig eben.
Wir sind uns dann einig: Augen offen halten und Ohren!
Oh – wie auch ich es liebe, Zukunft zu haben,
gedankenvoll unbedacht einfach vorhanden,
von der Hand in den Mund, wenn die Hand
noch zum Mund –
Ja, ich werde mit heller Stimme
‚Munterkeit mimend, ganz wie Gesinde es tut’
mit zur Türe gehen, kenne mich da ja aus,
weiss, welche Klinke wackelt, zur Not
auch Jacke wie Mantel am Garderobehaken
immer noch zu erwischen, – und, natürlich –
ich narre Euch nicht und entschuldige mich
mit eben der Stimme, dem Grund
der Verwirrung. Verzeiht,
dass ich sie habe und noch nicht schweige.