Gerhard Falkner

Entwurf einer Demolation

ICH BIN ES, der Dichter,
ich bin es nicht wert, daß man mir den Dreck
hinterher wirft, den ich von mir gebe,
ich bin, so steht es auf dem Papier,
die Gestalt,
an der die Sprache sich abwischt,
der Dauergast
in ihren Elendsvierteln
es ist so einfach
meinem Hirn über die Schultern zu gucken
und auf die gestirnte Leere zu blicken
die mein Denken überschattet
was immer ich anschneide
ist allein schon dadurch
blamiert bis auf die Knochen
kaum mache ich den Mund auf
schon schallen mir die glücklichsten Zeiten
entgegen
(glücklich im Sinne von unglücklich)
ich drücke die Türklinke
ich öffne ein Schubfach, Nacht schlägt
mir entgegen aus dem Schubfach,
Apfelduft und Nacht.
Immer wieder entschlüpft etwas Dunkles,
für das ich zu flach bin.
zu unbekannt, zu geboren.
Ich möchte einen schlafen gehen
aber wer bin ich, das zu wollen
Ich greife zum Haar, das Haar brennt
nicht, keine Flammen, kein Nachmittag,
an dem jemand stirbt,
stirbt an seinem bisher, stirbt an der Frage,
warum etwas ist und nicht vielmehr nichts.
(eine Frage, die dasteht, wie gedruckt!)
ich liege im Zimmer
die Welt ist aufgeblasen wie ein Ball
die Augendeckel sind hochgeklappt.
Draußen stehen die Bäume, die grünen Bläser
abgeriegelt von den Geigenklängen
dahinter der große Hintergrund meines Lebens
hell und hohl
da endlich betritt sie das Zimmer
sie, die in jeder Frau sich wiederholt
sie, die dasteht wie gedruckt
sie, die mich sieht und nicht vielmehr nicht sieht.
Zwischen Tür und Angel entdeckt sie ihre Neugierde
sie legt ihre Hände voller Virtuosität
auf ihre Rippen,
Rippen, die sie hungrig und kurzlebig
erscheinen lassen.
Er, der über sich selbst hinaus auch noch ich ist,
sieht das, sieht wie
sie fragt: was geht hier vor?
Er sagt ich sage: halb drei!
und ziehe durch diese Zahl
eine tote Hortensie. Da erzählt sie:
Mein schmaler Gatte kommt auf mich zu
und sagt: sei froh, daß du tot bist.
Für mich, sage ich, sagt sie, bin ich nicht
tot, für mich ist es nur spät, schon
halb drei
die Stunden sterben wie die Fliegen
sie fragt, was geht hier eigentlich vor
ich sage, ich werde gerade selbstbefriedigt!
damit beginnt der Abstieg
aus der Höhe der Reflexion
in die Tiefe der Befleckung.
Aber, sagt sie, das geht nicht
ich bin doch kein Sack,
den man sich in die Tür hängt
ich werde jetzt heiraten gehen
ich geh auf die Straße
und heirate ich aber,
ich kann nur beteuern:
ich habe das Gedicht nicht gewollt,
wie ein Vers liege ich nachts
auf dem Rücken, aufgedeckt, nicht zuende
gedacht, wie ein trockener Teebeutel,
wie das herunterhängende rote Ende
eines nicht mehr dichtbaren
Gedankenfadens

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Meer – Das Fließende

Meer - Das Fließende  Isla volante
Meer – Das Fließende
Isla volante

Es ist das Fließende, das uns bricht.

Die Übermacht der Belanglosigkeiten

der Gedanken, die über uns hinweggehen,

während wir unermüdlich Steine sammeln

um Brücken zu bauen

die nirgendwohin führen

unter denen wir Schutz suchen

im nächtlichen Gewitter

 

Zwischen den Steinen

flüchtig skizzierte Lebensläufe

die Illusion

sich an etwas festhalten zu können

Endzündliches Material

und einige Elemente Wasserstoff

Aber nichts, das hält.

Nur die Haltungsschäden

einer unbeugsamen Zeit.

Über den Tod

Ein guter Tod

 

Was soll das sein?

Im Mittelalter hatte man eine Vorstellung davon. Sterbebüchlein sollten helfen, sich auf einen „guten Tod“ vorzubereiten. Dieses Ideal zu erreichen.

Nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte, rief mich einer der Professoren, die meine Diplomarbeit betreut und begutachtet hatten an, um zu fragen, ob ich in seinem Seminar eine Stunde übernehmen wollte. Ich sollte über die gewandelten Vorstellungen von einem guten Tod sprechen.

Ich fragte die Studenten, was für einen Tod sie sich wünschten.

Dreißig Augenpaare, die mich verständnislos ansahen. Keiner hatte jemals über eine in ihren Augen offensichtlich absurde Frage nachgedacht.

Das ist jetzt über zehn Jahre her. Hat sich etwas geändert?

Würde ich heute Antworten bekommen?

Ich hatte damit gerechnet, dass man mir antworten würde: Ich möchte einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen.

Das, hatte ich gedacht, ist das Ideal der Gegenwart.

 

 

Über den Tod

Der Tod der anderen

Kürzlich ist eine Frau, die ich nur über das Schreiben kannte, gestorben. Ihr Mann teilte mir ihren Tod auf elektronischem Weg mit. Ich war betroffen und traurig. Aber ich wollte mich nicht der klischeehaften Formeln bedienen und eigene Worte hatte ich nicht. Also blieb ich stumm. Das fühlte sich weder richtig an, noch falsch. Nur hilflos.

Während ich bei anderen Todesfällen krank wurde. Als meine Mutter beerdigt wurde, begriff ich erst in dem Moment als der geschlossene Sarg in der Kapelle aufgebahrt war, die Endgültigkeit ihres Todes. Als ich Tage zuvor am offenen Sarg Abschied nehmen wollte, hatte ich mich geweigert, den Körper in diesem Sarg mit meiner Mutter in Verbindung zu bringen. Das Gesicht im Sarg war leichenblass, während das Gesicht meiner Mutter doch zeitlebens voller Sommersprossen gewesen war.

Der Tod der anderen bedeutet mit dem Fehlen zu leben. Mit dem leeren Stuhl am Tisch, auf dem mein Vater gesessen hatte, mit den dunklen Fenstern, die früher erleuchtet waren, wenn ich nach Hause kam, weil meine Mutter auf mich wartete.

Mit der Scheu, den Namen meiner Cousine auszusprechen, die sich das Leben genommen hat.

Erinnerungen, die nicht länger geteilt werden können und dadurch manchmal ein unerträgliches Gewicht erhalten.

Keine Lehren für den eigenen Tod.

Ich glaube nicht an die ars moriendi als Vorbereitung auf den eigenen Tod. Ich fürchte für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod gibt es keine Regeln, Vorschriften oder Rituale, die uns eine ganz individuelle und damit eben unteilbare Auseinandersetzung abnehmen.

Am Ende sterben wir alle, aber jeder von uns einen eigenen Tod.

Verlöschen. Das langsame Sterben. Als wenn das Leben langsam ausläuft. Das Lebenslicht langsam erlischt. Ich weiß nicht, ob es das gibt. Gleichzeitig bin ich sicher, dass es wahr ist. Die gefüllten Gefäße. Und irgendwann ist es einfach vollendet.

Das Leben.

Und das Sterben beginnt.

Über den Tod

Angst

 

Als sehr junge Frau, schreibt Sabine Schiffner, habe sie den Tod viel stärker gefürchtet als jetzt. Vielleicht weil ich so alt bin wie sie, verstehe ich dieses scheinbare Paradox, dass sich der Abstand vom Tod zwangsläufig verringert und doch statt der Angst die Gelassenheit wächst.

Vielleicht weil die Angst vor den Schmerzen geringer geworden ist, seit ich bei der Geburt meiner Söhne erlebt habe, wie am Ende des Schmerzes eine wundervolle Verwandlung stehen kann. Oder ganz profan, weil ich an die Palliativmedizin glaube, an die Möglichkeit die Schmerzen, die den Tod begleiten, zu lindern.

Vielleicht ist unser Leben auch ein Gefäß, und eine gewisse Fülle schenkt in manchen Bereichen Gelassenheit. Begrenzung wird nicht mehr (nur) als Gefahr, als Bedrohung und Einschränkung wahrgenommen, sondern als etwas, das eine notwendige Form verleiht, und damit auch Halt gibt. Die Beruhigung, die im Gedanken liegt, dass wir endlich sind. Gleichzeitig die Unmöglichkeit, sich diese Begrenzung vorzustellen.

Die Welt ohne mich.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir Gedanken über den Tod mache. Tod und Sterben begleiten mich von frühester Kindheit an. Es ist auch nicht das erste Mal, dass ich darüber schreibe.

Vielleicht lässt der Tod mich nicht los, oder aber ich bin es, die den Tod nicht loslässt. Weit davon entfernt, eine Obsession für den Tod zu haben, aber auch nicht länger eine übergroße Scheu.

Wobei ein großer Unterschied besteht zwischen dem Gedanken zu meinem eigenen Tod und dem Tod derer, die ich überleben muss.

Finger

Meer - Finger  Isla volante
Meer – Finger
Isla volante

 

Sie hatte schöne lange Finger und eine wunderbare Stimme. Wenn sie mir Märchen erzählte, war ich sicher, sie ist eine Meerjungfrau. Es war so etwas Trauriges an ihr, etwas, das mir das Gefühl gab, sie war niemals ganz hier.

Ein kleiner Makel. Wie an ihren langen Fingern. Eine Verunstaltung, die ihre Stimme manchmal kippen ließ.

 

 

Alter

„Alt sein heißt auch, sich selbst nicht wiederzuerkennen“. (Priya Basil)

Was für ein Satz. Der zunächst durchaus treffend zu sein scheint. Zutreffend.

Auf den ersten Blick. Und trostlos in seinem Beharren auf ein feststehendes Bild auf den zweiten Blick.

Ich erinnere mich an eine Frau, die sagte, jedes Mal wenn sie in den Spiegel sehe, wenn sie Fotos von sich, die gerade gemacht wurden, anschaue, erschrecke sie, weil ihre Vorstellung von sich im Alter von vierzig Jahren stehen geblieben sei.

Und in der Bibel steht: Du sollst Dir kein Bildnis machen. Wer sagt denn, dass das kein Gleichnis ist, auch wenn es im alten Testament steht? Wer ein Bild hat, hat einen Rahmen. Das verleiht Sicherheit, aber es bedeutet auch Beschränkung. Stillstand.

Auf Herrn Schnecks vielgeschätztem Blog fand ich kürzlich diesen Satz: Die alte Dame, die geht. Die Kirschkern, die beginnt, zu leben. 

Und ich hatte unmittelbar das Bedürfnis mich einzuordnen, zwischen diese Standpunkte und fand das „Dazwischen“.

Vielleicht ist dieser Ort eine Möglichkeit sich zugleich wiederzuerkennen und ständig neu zu erfinden. Eine versöhnlichere Definition des Alters.

Das Kleid

Sie trug dieses Kleid. Ihre Großmutter hatte es ausgesucht. Es gefiel ihr nicht. Es war zu dunkel. Winter. Sie stellte sich die Schneeflocken vor. Das war die Art, wie sie aussehen wollte.

Sie glaubte nicht mehr an Drachen, das heißt, sie hatte daran geglaubt, wie alle, die nicht wirklich etwas zu fürchten haben, sich Dinge ausdenken, die sie fürchten können.

Der Keller.

Manche lebten im Keller. Sie wusste das. Sie wusste, wie es später sein würde.

Die Eltern erzählten manchmal von früher. Von Fehlern und Versäumnissen (von Fortsetzungsromanen, bei denen man das Interesse aufrecht erhalten musste). Was man heute anders machen würde und woran man schon damals hätte erkennen können, was Jahre später geschah. In diesen Jahren, sagten sie oft und sie spürte, dass die Zeit nichts Abgeschlossenes war, dass es Jahre gab, die lange zurücklagen und immer noch wuchsen und andere, die man sich vorzustellen versuchte, aber wenn sie drohten, sich einzulösen, schob man sie von sich, schob sie vor sich her.

Sie dachte an die Großmutter. Sie betastete das Kleid. Sie begann sich nicht nur an den Stoff zu gewöhnen, er fing an, ihr zu gefallen. Sie lehnte an der Scheibe, an die Dunkelheit hatte sie sich längst gewöhnt. Die Dunkelheit innen und außen, die damit verbundenen Geräusche, die Träume, die sich schließlich nicht mehr von der Wirklichkeit (Wachheit) unterscheiden ließen.

Kann man sich an die Angst gewöhnen, wie an ein fremdes Kleid, fragte sie sich. Die Großmutter hatte keinen Brief geschrieben. Sie hatte nur dieses Kleid geschickt, ohne ein Wort. Niemand verlor ein Wort darüber. Vielleicht wussten auch sie, was das bedeutete. Sie würde morgen zum Bahnhof gehen und dort erfahren, wann die Großmutter kommt. Sie würde in die Halle eintreten, die ihr ein wenig wie ein Palast erschien und die Tafeln mit den Ankunftszeiten studieren. Ihr kleiner Bruder weinte, die Stufen knarzten. Sie hörte Geflüster, das Rascheln der Bettdecke. Das Schreien hörte auf. An seine Stelle waren Schritte getreten. Schritte und leises Summen.

Hast du mir auch vorgesungen, als ich klein war?, hatte sie die Mutter gefragt, gestern und vorgestern und vor einer Woche, und sie hatte nur traurig und müde gelächelt, gesagt hatte sie nichts. Als gäbe es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Worten, die für sie bestimmt war, so dass die Großmutter keinen Brief zum Kleid schicken konnte und die Mutter nur die notwendigsten Fragen beantwortete. Als würden sie sie sparen, die Worte, um später etwas Großes daraus errichten zu können. So groß und hell und hoch wie diese Bahnhofshalle, so voller Möglichkeiten, Ankünfte und Abfahrten.

[Dichtungsring 43]