Notwendigkeit

 

Man stellt sich den Fragen und auf einmal, zwangsläufig, aber auch plötzlich, bezieht man einen Standpunkt, vertritt ihn und es ist eher befriedigend und erstaunlich als anstrengend, ermüdend.

Das essayistische Schreiben (essayistisch leben hat Musil geschrieben, dessen Mann ohne Eigenschaften ich immer noch nicht gelesen habe, weil meine Haltung auch ein Verzetteln ist, ein mich immer wieder Verstecken hinter Schmerzen und Schwäche), die Suche nach einem Satz, der alles aufnimmt und aufhebt, der mich aufhebt, zärtlich, behutsam und selbstverständlich, wie eine Mutter ihr Kind. Diese Art von Verbindung, weit entfernt von der Frage nach Wirkung, von jeglicher Frage, bestechend aus nichts als der Selbstverständlichkeit mit der man tut, was notwendig ist.

 

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Weibliche Kunst

 

Wohin man auch sieht, Galerien, Rankings, Ausstellungen, Professorenstellen, Preise… Überall dominieren Männer, obwohl es mehr Frauen gibt, die Kunst studieren, mehr Frauen, die schreiben, Literatur studieren.

Langsam holen die Frauen auf. Aber die Betonung liegt eher auf dem langsam als auf dem Aufholen. Woran liegt das?

Die Diskussion darüber gibt es schon so lange, vermutlich jeder, der mit Kunst zu tun hat, hat sie auf die eine oder andere Art geführt. In eigener Sache kann ich mich z.B. an diese Diskussion erinnern.

Natürlich spielt da eine über 2.000 Jahre alte Tradition eine Rolle. Schließlich haben Frauen erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit die Möglichkeit im Kunstgeschehen mitzuspielen.

 

Andererseits führen gleiche Chancen nicht automatisch zu gleichen Ergebnissen. Frauen setzen andere Prioritäten, wählen andere Formate, bevorzugen Kooperation statt Wettkampf. Und sie wollen Sicherheit, ein Grund, warum viele ehemalige Kunststudentinnen Kuratorin oder Kunstlehrerin werden.

 

 

Vielleicht ist auch die Definition davon, was Erfolg ist, falsch.

Was wäre wenn Erfolg sich nicht auf erzielte Preise, die Anzahl von Einzelausstellungen und den Bekanntheitsgrad reduzieren würde, sondern so etwas wie eigene Zufriedenheit und menschliches Miteinander einschlöße?

Die Gewichtung würde mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausfallen.

 

Erinnerungen

 

Zu dieser Zeit hatte sie sich längst abgewöhnt, aus dem Fenster zu sehen. Sie war zu ungeduldig für diese Art von Beschäftigung. Ihre Gedanken waren immer auf dem Sprung, und schließlich erschöpfte sie das so sehr, dass sie am liebsten ganz still in ihrem Bett lag, nahezu bewegungslos, mit geschlossenen Augen, um zu warten, bis keine Bilder mehr an ihr vorbeizogen, bis nur noch eine schwarze Wand zu sehen war. Beängstigend und beruhigend zugleich.

Wenn sie doch aufstehen und funktionieren musst, wenn sie beim Zähneputzen sorgfältig den Blick in den Spiegel vermied, war sie damit beschäftigt eine Antwort auf die Frage zu finden, wie man sich vor der Erinnerung schützen konnte. Wie sie sich wappnen könnte, gegen die ständigen Überfälle der Erinnerung, die ihre Gegenwart überschatteten. Von Zukunft gar nicht zu reden. Zukunft, das war vielleicht eine Zeit, ein Zustand, in dem sie eine Antwort auf diese Frage gefunden haben würde. Zukunft war die Hoffnung endlich eine Festung errichtet zu haben gegen die hinterhältigen und unentwegten Angriffe der Vergangenheit.

Zu dieser Zeit, der Zeit der unmöglichen Fenster und der zunehmenden Hoffnungslosigkeit, begann sie sich anzugewöhnen, ihre Zeit am Bahnhof zu verbringen. Zunächst ein, zwei Nachmittage in der Woche und dann immer häufiger. Sie stand an den zugigen Gleisen, sah Menschen ein- und aussteigen, und in guten Momenten gelang es ihr daran zu glauben, dass sie ihre Erinnerungen in eins der Abteile gesteckt hätte, dass sich die Tür schnell genug geschlossen hätte, bevor die Erinnerungen entwischen und zu ihr zurück kehren konnten.

 

Die Witwe

 

Die Witwe - Isla volante
Die Witwe – Isla volante

Wir verschwanden hinter unseren Vorstellungen. Die Zeit ging darüber hinweg, ließ ein paar Falten zurück und die Erinnerung an die Ebbe. Während die Flut alles davon getragen hatte. In eine Weite und Ferne und Kraft, von der wir keine Vorstellung hatten.

Wir verheirateten unsere Mädchen mit den Fischern, die das Meer ab und zu nicht wieder hergab. Sie war eine von diesen jungen Witwen. Sie hatte kaum Zeit gehabt, ihn kennen zu lernen. Wir erwarteten, dass sie trauern würde, stattdessen zog sie seine Kleider an und ging. 

 

Vom Bärte tragen

 

Ich war elf
Damals trug ich noch einen Bart
Ich hatte den Glauben an Märchen verloren
Und die Magie der Worte 
Noch nicht entdeckt
Ich schrieb ein Wort
In mein Tagebuch
Und unterstrich es
Ich wollte ihm Nachdruck verleihen
Damit ich mich im unvorstellbaren Alter von dreiundvierzig
An diesen Eindruck auf dem Papier erinnern konnte
Damals als Borges, Bernhard und Beckett noch lebten
Und ich einen Bart trug

 

Stöckchenhausen

Ehrlich gesagt, bin ich immer froh, wenn diese „Stöckchen“ an mir vorbeifliegen, das hat so etwas von früher, von Schulzeit und vielleicht auch von diesen dubiosen Kettenbriefen, nun aber ist eines hier gelandet und geworfen hat es Candy Bukowski. Ich mag ihr Blog, ich mag ihre Fragen, also was solls, schreib ich eben ein paar Worte.

 

Ein Text ist gut, wenn er mich aufregt. Das ist auch die Art Text, die ich immer wieder zu schreiben versuche, immer und überall. Aber das ist nur der Wunsch. Die Realität besteht darin, dass ich hauptsächlich im Bett schreibe, und das viel zu selten. Das Gegenteil von viel Schreiben ist wenig Schreiben, und Leben ist das Gegenteil von Tod. Naja und Leben ist natürlich die Möglichkeit von Kreativität, die wiederum Auseinandersetzung ist. Mit was auch immer. Aber aufrichtig! Mein Lieblingstext müsste also der sein, in dem mir das am besten gelungen ist, nur: wer kennt sich schon selbst? Wer kann schon die eigenen Schriften beurteilen? Ich jedenfalls nicht. Also lebe ich unentschieden, unterscheidungslos von Tag zu Tag und das sagt schon fast, dass mir die Perspektiven fehlen, die Kraft und vor allem Disziplin, während ich von einer Sache viel zu viel habe: Erinnerungen. „Ich erinnere mich ständig ständig“, wie das so schön in Stanisic wunderbarem Roman „Vor dem Fest“ steht, endlich mal ein Buch, das einen dieser Preise verdient hat. Meine Lieblingstexte schreiben also andere Menschen, und mit den Fotos ist es genau so, meine Lieblingsfotos schießen auch andere, z.B. immer wieder der Sehraeuber.

Und weil mir der Stanisic Roman noch so im Kopf steckt, ist tatsächlich Fuchs das erste Wort das mir zum Buchstaben „F“ einfällt, aber es gibt auch einen Satz, in dem kein Wort mit „F“ vorkommt und den stelle ich jetzt nicht nur in den Raum, sondern auch ans Ende meines kleinen aus Stöckchen gebastelten Textes: Wenn man die Vergangenheit nicht ordentlich erzieht, wird sie rachsüchtig ab ihrer Pubertät.“ (István Kemény)

Und wer mag, der baue doch bitte aus den folgenden Fragen ein neues Stockhausen:

1. Was macht Dich müde?

2. Was kannst Du nicht ernst nehmen?

3. Deine Lieblingsmalerin?

4. Was macht Dir Mut?

5. Gaubst Du, dass der Tod eine Frau ist?

6. Wem wärst Du lieber nie begegnet?

7. Welche Rolle spielen die Toten in Deinem Leben?

8. Und die Ungeborenen?

9. Dein erster Kuss

10. Deine letzte Ohrfeige

11. Was ist Heimat für Dich?

Sinn – Sinne

Macht der Tod alles sinnlos, oder ist die Begrenzung des Lebens die Grundvoraussetzung, um überhaupt etwas als sinnvoll zu erfahren?

Spielt das eine Rolle? Und was genau bedeutet überhaupt Sinn?

Meint es nicht in erster Linie sinnlich, mit den Sinnen erfahrbar und nicht diese Ausrichtung auf ein abstraktes Ergebnis?

Vielleicht ist es genau diese Rückführung auf das sinnliche Erleben, weg von den Ergebnissen (der Zielstrebigkeit), die das Wesen der Kunst ausmachen und so zugleich erfüllend und entlastend wirken.

Erfahrung statt Bedeutung. Vielleicht ist das der ganze Sinn.

Der Hibiskus blutet – Elisabeth Masé

Fäden und Fadenscheinigkeit, überall wo erzählt wird. Wir weben Muster weiter, trennen sie auf. Die Geschichte von Penelope ist auch die Geschichte vom Erzählen. Die Grundbedingung dafür im Erzählen eine Heimat zu finden.

Elisabeth Masé hat den roten Faden in manche ihrer Bilder gestickt. Mutterbilder einer anderen Art, verschlossene Münder und statt neuem Leben den Tod im Schoß.

Fäden, die mich an Ariadane und Penelope erinnern, an Annegret Soltau und natürlich an Louise Bourgeois: die Spinne als Mutter, das Netz von Familie und Kindheit, in dem wir gleichzeitig gefangen und geborgen sind.

Und vielleicht geht das alles auf diesen Faden zurück mit dem wir am Anfang unseres Lebens verbunden sind: die Nabelschnur.

Diese Verbindung: Verletzung und Heilung zugleich. Ausdruck unserer Doppelnatur, oder unserer Verlorenheit zwischen gegensätzlichen Polen.

Dass die Zeichnungen so zart und fein sind, macht die Gewalt in ihnen noch grausamer, verstörender. Weil sie nichts zerstört, die Bilder bleiben fein und zart. Das Böse macht seinen Hintergrund nicht hässlich, die Trennlinie ist nicht so einfach auszumachen. Und das macht die Gewalt in diesen Zeichnungen noch … Ja, was eigentlich? Sanfter? Erträglicher? Zwangsläufiger?

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die zarten Zeichnungen eine besondere Verbindung eingehen mit der darin ausgedrückten Gewalt. Seit einigen Jahren malt Elisabeth Masé auch mit Worten und so findet man in diesem wunderschönen Buch neben den von Martin Brockhoff sorgfältig abfotografierten Zeichnungen die titelgebende Geschichte „Der Hibiskus blutet“, „Think Pink“ , zwei Geschichten voller Farben, auch Gedichte. Eines davon beschreibt perfekt die Stimmung, die das gesamte Buch und die dort versammelten Zeichnungen bestimmt:

Kinderlied

Mein Haus hat ein Fenster,

ein Fenster aus Blei.

Ich wart auf Gespenster

und lege ein Ei.

Bald wird man mich bitten,

ans Fenster aus Blei.

Ich drohe mit Tritten

und Kindergeschrei.

Im Frühjahr zersägst du

mein Fenster aus Blei.

Ich beiß dich, ach leck mich,

verschluck dein Geweih.

Im Sommer da treib ich

im feuchtwarmen Nest.

Ich plag dich, du jagst mich

und bist nicht mehr nett.

Im Herbst fall ich lallend

gefallenes Laub

und schließ meine Augen

und werde zu Staub.