Ich habe überlegt, ob ich warten soll, bis sich ein (vorläufiger) Faden ergibt, an dem entlang ich die Überlegungen zu Heimat und Herkunft und Flucht und Vertreibung ordnen könnte, oder ob das der falsche Weg ist, ob sich dieser Faden vielmehr erst während des Sammelns und Überlegens ergibt. Und habe mich für letzteres entschieden.
Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt im Stande sein werde, mit dem Material fertig zu werden. Dem, was durch den siebten Sprung nach und nach zugänglich gemacht wird, dem, was im Roman enthalten sein wird und trotzdem möchte ich jetzt noch einmal ausdrücklich dazu einladen, eigene Geschichten, Bilder, Fotos, Eindrücke und Überlegungen beizutragen. Wer die Einladung annehmen möchte, schicke mir die Beiträge bitte an muetzenfalterin@web.de.
Weil es aber seltsam wäre, eine derartige Einladung auszusprechen und die Hoffnung zu hegen, die eine oder der andere möge ihr nachkommen, ohne etwas eigenes preiszugeben, meine kleine Geschichte von Heimat und Vertreibung. Eine davon. Die erste:
Meine Mutter ist in Bartenstein aufgewachsen, von dort im zweiten Weltkrieg geflohen. Die Geschichten an die ich mich erinnere sind lückenhaft, und niemand ist mehr da, der die Lücken füllen könnte. Ich erinnere mich, wie sie davon erzählt hat, dass ihre Freundin H., der Flüchtlingstreck hatte sich längst in Bewegung gesetzt, nicht davon abzuhalten gewesen war, zurückzulaufen, um die Haustür des verlassenen Hauses abzuschließen. Ich erinnere mich, dass viel später und in meiner Erinnerung nur ein einziges Mal davon gesprochen wurde, dass ihre Schwester auf dieser Flucht, im Winter, über die gefrorene Nährung, ein Kind verloren hatte. Was haben sie mit der Leiche gemacht? Haben sie den kleinen Kinderkörper in der gefrorenen Erde begraben? Ich habe keine Fragen gestellt, und jetzt, da mir die Fragen manchmal den Schlaf rauben, ist niemand mehr da, der mir die Fragen beantworten könnte.
Ich erinnere mich an die Erzählung meiner Mutter, wie sehr ihr Vater hier den Mond seiner Heimat vermisst hätte. Immer wieder soll er gesagt haben, dass der Mond in Ostpreußen ganz anders gewesen sei.
Weil das der Mond seiner Kindheit gewesen ist, einem von lediglich zwei Räumen, in denen sich der Mensch laut Valeria Luiselli beheimatet fühlt.
Heimat als Erinnerung.
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