Meine verlorenen Brüder

Meine verlorenen Brüder

haben leuchtende Münder

strahlen mit Worten

Ihre Worte fliegen als gebratene Tauben

in meinen Schlund

Ich werde nicht klug

aus den Sätzen

Wie buchstabiert man ein Leben

Wie schreibt man es aus?

Meine Brüder verweigern der Mutter die Sprache

Versprechen dem Vater das Land

Ich verliere sie in verschachtelten Träumen

überwachsen von Venushaar

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Dora Maar

Theodora Markovitch am am 22. November 1907 in Paris zur Welt, zog aber drei Jahre später nach Buenos Aires und kehrte erst 1926 wieder nach Paris zurück. Dort legte sie sich ihren Künstlernamen Dora Maar zu und betrieb mit Pierre Kéfer ein gemeinsames Studio. Man Ray hatte sie zunächst als Assistentin abgelehnt. Das Doppelporträt mit Huteffekt, von 1930, zeigt schon Maars Lust am Experimentieren, ihre Freude Negative zu zerschneiden und neu zu kopieren.

Bereits in dieser Zeit engagierte sie sich stark für die politische Linke, 1934 unterzeichnete sie den Aufruf zum Generalstrei  gegen den Vormarsch des Faschismus. Ihre Reisebilder aus Barcelona oder London sind von ihrem sozialen Engagement gekennzeichnet.

1934 eröffnete Dora Maar ein eigenes Studio in der Rue d’Astorg 29. 1935 schliesst sich Maar für kurze Zeit der Contre-Attaque Bewegung an, zu deren Begründern auch Claude Cahun und Paul Eluard gehören. 1936 gehört Dora Maar bereits zum festen Kreis der Surrealisten. Ihr Bildnis von Ubu avancierte zur berühmten Ikone des Surrealismus.

 

1936 lernte Dora Maar Picasso kennen und wurde seine Geliebte. Aus der eigenständigen Künsterlin wurde eine Muse. Zwar war sie ihrem Geliebten Picasso auf dem Gebiet der Fotografie überlegen, aber nach Fertigstellung einer Fotoserie von der Entstehung der Guernica, drängte Picasso Maar, die Fotografie aufzugeben und zu malen.

 

Dora Maar wurde von der Begegnung mit Picasso regelrecht absorbiert. So schrieb der Kunstsammler Heinz Berggruen: „So wie ich sie kannte – und ich kannte sie recht gut seit den frühen fünfziger Jahren […] – war sie in allen Höhen und tiefen ihres von Tragik getränkten Lebens ein Teil des Planeten Picasso.“

Als Dora Maar am 16. Juli 1997 stirbt, ist ihr eigenes Talent endgültig hinter dem „Planeten Picasso“ verschwunden.

Recherchen im Reich der Sinne

Während meiner Recherchen über Frauen im Surrealismus begegnet mir immer wieder der weibliche Blick, der sich grundlegend vom männlichen unterscheidet. Die Umsetzung von Ideen, Geschlechtsbildern ist direkter und auch eindimensionaler bei den männlichen Künstlern. Es scheint als fehle ihnen die Fähigkeit (oder auch nur die Bereitschaft) zur Kommunikation. Der männliche Surrealismus strebt nach einer Kommunikation mit dem Irrationalen, nicht nach Verständnis.

Beispielgebend dafür erscheinen mir die von André Breton 1928 eröffneten Recherches sur la sexualité. Diese Gespräche, die dazu dienen sollten, den weiblichen Orgasmus zu erkennen, fanden zunächst unter Ausschluss der Frauen statt. Aber auch als im achten und neunten Gespräch Frauen anwesend waren, fand kein Austausch statt. Die Frauen mussten ebenso wie die anwesenden Männer lediglich genau definierte (und von Männern formulierte) Fragen beantworten.

[Insgesamt fanden 12 Gespräche statt, die alle vollständig protokolliert wurden. siehe dazu: José Pierre (Hg.) Recherchen im Reich der Sinne. Die zwölf Gespräche der Surrealisten über Sexualität 1928 – 1932. München, 1996)

Lee Miller

Lee Miller wurde am 23. April 1907 in Poughkeepsie in New York geboren. Dort begann sie auch Malerei zu studieren und wurde als Fotomodell entdeckt. Weder die Arbeit als Modell noch die Malerei füllten Lee aus und so stand sie im Sommer 1929 mit einem Empfehlungsschreiben von Streichen in Man Rays Atelier in Paris und sagte: Ich bin Ihre neue Schülerin“. Die erfolgreichste Erfindung des Arbeits- und Liebespaares war das fototechnische Verfahren der Solarisation. Schon bald trennt sich Lee von Man Ray. Wer noch mehr über die Beziehung der beiden und über Lee Miller aus anderer Quelle erfahren möchte, sei hier auf Bersarin verwiesen, der kürzlich anläßlich der letzten documenta lesenswertes über Lee Miller schrieb.

„Ich habe den Eindruck, daß Frauen größere Erfolgschancen in der Photographie haben als Männer. Frauen sind schneller und anpassungsfähiger als Männer. Und ich glaube, sie haben eine Intuition, mit denen sie Persönlichkeiten schneller erfassen als Männer.“ (Lee Miller)

Als Fotografin spielt Lee Miller mittels ungewöhnlicher Perspektiven und Kamerawinkel mit der Realität. Alles was ihre Bilder surreal machte, fand Miller in der STadt und den Landschaften selbst, erst ihr Kamerablick machte das Gewöhnliche zu etwas Magischem.

Nach einer Affäre mit Aziz Eloui Bey, die mit dem Selbstmord dessen Ehefrau tragisch endet, flieht Miller nach New York, wo sie ein Studio eröffnet. Als Aziz zwei Jahre später in Manhattan auftaucht, löst sie das erfolgreiche Studio auf, um mit ihm nach Kairo zu gehen.

1937 kehrt sie nach Paris zurück, wo sie Roland Penrose kennen lernt. 1939 verlässt Miller Aziz endgültig und zieht zu Penrose nach London. Im Juli 1945 erschien in der Vogue die Aufnahme von Lee Miller in Hitlers Badewanne, von der bei Bersarin die Rede ist. Seit 1942 arbeitete Miller als Kriegskorrespondentin. Nach Kriegsende wurde Miller depressiv, vagabundierte durch Osteuropa, von wo sie 1946 krank nach London zurückkkehrte. Ein Jahr später wird sie schwanger und heiratet Penrose. Lee Miller stirbt am 27. Juli 1977 an Krebs. 1986 wird in London eine erste Retrospektive ihrer Bilder gezeigt.

Claude Cahun

Caude Cahun wurde am 25. Oktober 1894 als Lucy Schwob in Nantes geboren.

Während sie sich als Schriftstellerin einen Namen machte, wussten die wenigsten von ihren Fotografien. Ihre Selbstbildnisse waren für sie eine ganz private Angelegenheit, die sie nie öffentlich gezeigt hat. In jeder ihrer Fotografien benutzte sie den eigenen Körper als Projektionsfläche, um kulturelle Stereotypen, besonders die geschlechtlichen Zuschreibungen,  zu unterlaufen.

1925 erklärte sie über die Anordnung zur Zwangsschließung der homosexuell orientierten Zeitschrift Inversions: Meine Meinung über die Homosexualität und die Homosexuellen ist genau die selbe wie meine Meinung über die Heterosexualität und die Heterosexuellen; Alles hängt von den Individuen und den Umständen ab. Ich verteidige das Recht der Leute, sich zu verhalten wie sie wollen.

Claude Cahun Selbstportrait um 1929

„Männlich, weiblich? aber das kommt auf den jeweiligen Fall an. Neutrum ist das einzige Geschlecht, das mir immer entspricht, schreibt sie in ihren „Nichtigen Bekenntnissen“.

1932 tritt sie in die kommunistische Partei ein und beteiligt sich in den folgenden Jahren an den politischen Aktivitäten der Surrealisten.

Als die Nazitruppen 1940 die englische Insel Jersey besetzen, formiert sich umgehend Widerstand. Flugblätter und Plakate mit Antikriegsparolen tauchen auf, vom Kirchturm weht eine Fahne mit der Aufschrift „Jesus starb für die Menschen, doch die Menschen sterben für Hitler“. Bis die Gestapo die Urheber dingfest machen kann, vergehen vier Jahre. Im Juli 1944 werden Claude Cahun und ihre Freundin Suzsanne Malherbe verhaftet und zum Tode verurteilt. Das Todesurteil wird schließlich aufgehoben, aber während der Zeit der Inhaftierung wird in Cahuns Landgut eingebrochen und zahlreiche Manuskripte werden vernichtet.

Claude Cahun stirbt am 8. Dezember 1954 auf Jersey.

Surrealistinnen

Spätestens mit der neuen Beschäftigung mit Elisabeth Masé ist mir nochmals deutlich geworden, wie faszinierend ich surrealistische Bilder finde. Vielleicht auch, weil in keiner mir bekannten anderen Richtung Malerei und Literatur ein so enges Bündnis eingegangen sind.

Während die surrealistischen Maler sehr bekannt sind, weiß man jedoch allgemein wenig über die surrealistischen Künsterlinen, die ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben.

Der Surrealismus war eine männliche Domäne. Frauen hatten bestenfalls als Geliebte und Muse Zutritt zu diesem Zirkel, der sie naturgemäß besonders ansprach. Nicht der Männer, sondern der Thematik wegen.

Eine Thematik, die sich vielleicht am besten in einem Zitat von Lautréamont zusammenfassen lässt, das längst zum geflügelten Wort innerhalb surrealistischer Kreise geworden ist:

„wie die Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ (Lautréamont, die Gesänge des Maldoror, 6. Gesang)

Die Zwänge der Logik, der Kontrolle, des Folgerichtigen sind hier außer Kraft gesetzt. Die Vorherrschaft des Intellektes über das Unbewusste gilt nicht länger.

Man Ray war der erste, der die Quintesenz, die die Surrealisten aus Lautréamonts Schriften zogen, in ein Bild übersetzte, mit The Enigma of Isidore Ducase (dem bürgerlichen Namen Lautréamonts)

 

Frauen spielten als Musen, als Bild für Schönheit, als Geliebte und als Sinnbild für das Geheimnisvolle der Natur eine Rolle, aber immer unter Beibehaltung der männlichen Dominanz. Das Weibliche spielte eine große Rolle im Surrealismus, die Frau selbst jedoch nicht.

Spiele waren von zentraler Bedeutung für die Surrealisten. Eines der beliebtesten (und vermutlich auch bekanntesten) Spiele stammte von Yves Tanguy und nannte sich „Cadavre exquis“, die köstliche Leiche. Gemeinsam wurde eine Figur gezeichnet, wobei der Nachfolger nicht sehen konnte, was sein Vorgänger gezeichnet hatte, das das Blatt an dieser Stelle gefaltet wurde.

Die Surrealistinen spielten die Spiele der Männer eine Zeit lang mit, indem sie sich als Traumfiguren und Fantasiegeschöpfe malten. Dann jedoch emanzipierten sie sich von den männlichen Vorgaben.

Fortschritt

Sie dachte zu viel, zu vorsichtig (nicht nachsichtig, das wäre gut gewesen), zu ängstlich und auf eine Art misstrauisch, die niemandem zu Gute kam, nur gegen sie selbst arbeitete.

Sie dachte an einen kleinen Mann in ausgefallenen Kleidern, der an einer Straßenkreuzung stand, den Schirm aufgespannt, weil beharrlich Enttäuschungen auf ihn herab regneten. Alle anderen, dachte der Mann, bleiben trocken und er weinte nur deshalb nicht, weil er ein Mann war und sich Tränen für Männer nicht gehören.

Ein anderes Mal (er stand immer noch an dieser Ampel), dachte der kleine Mann über die Wissenschaften nach. Über Kopernikus und Keppler, über das Mechanische der Welt und dass diese Mechanik auch mit Elektrizität nicht zu durchbrechen sei. An den kleinen Gauß dachte er, und an die mathematischen Gesetze, an all das Wissen und dann fragte er sich, wem es nützt. Die einen würden antworten: der Aufklärung, die andere: der Aufrechterhaltung der Zustände und wieder andere würden sagen, dass in der Wissenschaft und ihren Erkenntnissen der Fortschritt liegt und das glaubte der kleine Mann auch. Nur manchmal fürchtet er eine Antwort darauf zu finden, wovon wir beständig fortschreiten.

Elisabeth Masé

Entdeckt habe ich Elisabeth Masé 2007 bei der Ausstellung „Die Unsterblichen“ in der Bielefelder Studiengalerie. Ausgestellt wurden damals hauptsächlich Portraits. Daher auch der Titel „Die Unsterblichen“. Allerdings sind Masés Portraits keine Idealbilder, vielmehr macht sie das Verborgene sichtbar.

Sie selbst sagt dazu: „Die Menschen, die ich porträtiere, inspirieren mich. Sie sind meine Muse. Sie werden zu einem Buch, in dem ich lese. (…) Von einem gewissen Moment an beginne ich, zu träumen und vertraue dem Unbewussten. Meine Modelle sind für mich eigentlich Schauspieler, für die ich ein Stück kreire, oder ein Bühnenbild male.“

Elisabeth Masé „Das 20. Jahrhundert

Ähnlich geht Elisabeth Masé auch mit einem Selbstbildnis um, das, wie sie sagt, nur entstanden ist, weil ihr Mann sich gewünscht hatte, sie solle sich doch einmal selbst malen. „Ich musste mir überlegen, was ich tun sollte. Meinen Mann habe ich als Bild gemalt. Das geschah nicht geplant. Ich fing damit an, mich mit Hilfe eines Spiegels zu malen. Erst danach entstand die andere weibliche Figur, eine Malerin ohne Kopf, aber mit nacktem Körper. Dann kam die Staffelei mit dem Bild, auf dem das Profil meines Mannes erscheint. Das Ergebnis ist die geschlechtliche Umkehrung des klassischen Motivs Maler und Modell. Ich selbst wollte mich im Bild nicht schonen, ich wollte mich weder schön noch heroisch malen. Ich malte mich als Festgewachsene und Zerzauste und Erschöpfte. Die erschöpfte Figur mit dem aufrechten Kopf kann nicht einfach weg. Sie trägt die Schuhe in der Hand, aber ihre Beine sind wie bei einer Pflanze festgewachsen. Sie zieht ihre Säfte aus dem Untergrund oder, wie ein Parasit aus dem Kopf des mannes. Der Mann wiederum trinkt die Milch der kopflosen Nackten. Das Bild ist also sehr ambivalent. Es gibt Hingabe und Aggression. Die Sexualität und die Inspiration stehen in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander. Sie scheinen schier auseinander zu brechen. Das Bild stellt auch einen Kreislauf dar: Die Malerin nährt den Mann im Bild mit ihrer Milch. Aus dem Kopf des Mannes wachsen zwei schmale Baumstämme, die wiederum als Beine in den Rumpf meines Spiegelbildes hineinwachsen. In meinem Bild nähren sich Mann und Frau also gegenseitig. Für mich ist das wie ein Perpetuum Mobile, wobei das Körperliche eine wichtige Rolle spielt.“ (Elisabeth Masé im Gespräch mit Stefanie Heraeus, zitiert nach Elistabeth Masé Die Unsterblichen, Kerber Verlag 2007)

Schneewittchen

Schneewittchen glaubte an Märchen
die ihr niemand erzählte
weil außer dem Spiegel
keiner mit ihr sprach

Sie pflanzte Rosen an
weil sie hoffte
so könnte sie der Prinz für Dornröschen halten

Aschenputtel für sieben Kleinwüchsige
zu spielen
schien ihr nicht erstrebenswert

wer will schon den Frühling abwarten
wenn die Lust auf Liebe in den Winter schneit
und in Schneewittchens Gesicht
war immer Winter
weiß wie Schnee
aber mit drei Tropfen Blut
wenn das keine Drohung war

Aber sie glaubte ja an Märchen
so sehr
dass sie Frösche küsste
und niemals vom Weg abkam
um Blumen zu pflücken
und nicht mit ihrem Spiegel sprach
dem einzigen
der ihr wirklich etwas zu sagen gehabt hätte