Gestern ist mir ein Buch in die Hände gefallen, ein Fotobuch, „Women“ von Annie Leibovitz. Ich habe es mitgenommen und angesehen und weil ich unlängst ein anderes Fotobuch mit Bildern von Frauen angesehen hatte, stellte sich noch einmal die Frage, ob es das gibt, einen weiblichen Blick. Eine Frage, die ich mir schon beim letzten Band „Frauen sehen Frauen“ gestellt habe, ohne jedoch wirklich nach einer Antwort zu suchen.
Aber jetzt. Gibt es einen weiblichen Blick? Einen Blick, mit dem Frauen andere Frauen ansehen, der sich grundlegend vom Blick der Männer unterscheidet? Männer betrachten Frauen anders, aber sie betrachten auch ihresgleichen anders, als Frauen Frauen betrachten. Also ja, weiblicher Blick versus männlicher Blick. Aber was genau zeichnet diesen Blick aus?
„Ein Photo ist schließlich keine Meinung. Oder doch?“ schreibt Susan Sontag in einem Essay mit dem sie den Fotoband „Women“ von Annie Leibovitz begleitet. Sie war auch diejenige, die Annie Leibovitz zu diesem Projekt angeregt hat. Ein Buch über Frauen, gemacht von einer Frau.
„Nimm dir vor, ein Buch mit Photos von Menschen zu machen, die nichts anderes gemeinsam haben, als daß sie Frauen sind (…) Fang mit nichts als der Überzeugung an, daß das Thema an sich interessant ist, vor allem in Anbetracht des beispiellosen Bewußtseinswandels vieler Frauen während der letzten Jahrzehnte – und mit dem Vorsatz, offen zu bleiben für spontane Einfälle und gute Gelegenheiten.“ So beginnt Sontags Essay und etwas ähnliches wird sie Annie Leibovitz gesagt haben. Um dann zu dem Schluss zu kommen, dass ein derartiges Buch, ungeachtet seiner großen Heterogenität, „in einem gewisse Sinne repräsentativ empfunden“ werden wird.
„Ein Buch mit Photos von Frauen muß, ob es will oder nicht, die Frauenfrage aufwerfen – eine entsprechende Männerfrage gibt es nicht. Anders als Frauen sind Männer kein „work in progress“. Während ein Mann Vertreter der Menschheit ist, ist die Frau Muster und Vorbild für andere Frauen. Daher work in progress, die Frau, immer noch auf dem Weg, sich ihren Anteil an Welthaltigkeit zu erkämpfen.
Und das kann für den Moment so einseitig stehen gelassen werden.
Einige der Rechte, die sich Frauen, im Gegensatz zu Männern, erkämpfen mussten, sind noch gar nicht so alt. In der Schweiz z.B. erhielten Frauen erst 1971 das Wahlrecht. Als meine Cousine vor dreißig Jahren KFZ Mechaniker werden wollte, scheiterte das Vorhaben daran, dass keiner der Betriebe, bei denen sie sich vorstellte, eine Damentoilette hatte. Oder, um ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit anzufügen: Im Frühjahr 2010 hielt es die Redaktion der Zeitschrift poet nr. 8 für angebracht, einige Zeilen darüber zu verlieren, dass bei den Neuerscheinungen in der Rubrik Prosa ausschließlich Frauen vertreten waren. „Das hat nichts zu sagen – außer dass junge Erzählerinnen wesentlich die Gegenwartsliteratur prägen. Sollte es stimmen, dass an den Schulen die Jungen, gerade im sprachlich-literarischen Bereich, kontinuierlich zurückfallen, so scheint es logisch, dass diese Schreib- und Leseleidenschaft der Frauen auch im Literaturleben kenntlich wird. Darauf freuen wir uns.“
Nicht nur, dass es notwendig erscheint, etwas darüber zu sagen, wenn plötzlich in einer Rubrik nur weibliche Stimmen vertreten sind (niemals wäre das der Fall gewesen, hätte es sich ausschließlich um männliche Schreiber gehandelt), man freut sich auch noch über das mögliche zukünftige Kenntlichwerden der Frauen in der Literatur. Als gäbe es keine Herta Müller, keine Ilse Aichinger, keine Uljana Wolf, keine Elfriede Jelinek, (die übrigens jüngst einen sehr klugen Beitrag zur Verhaftung der Pussy Riots geschrieben hat). Das macht mich noch jetzt, zwei Jahre später, sprachlos. Als wären Frauen nicht längst „kenntlich“ im Literaturleben. Überall dort, wo sie Männer finden, die sie zu drucken bereit sind, die sich aber dumme und überhebliche Sätze nicht verkneifen können, um doch irgendwie an ihrer Vormachtsstellung festhalten zu können.
(Fortsetzung folgt)
Schöne Rede deinerseits. Aber noch ein kurzer Einwurf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz: Wenn man sich das Ganze auf kantonaler Ebene anschaut, dann sind die Jahreszahlen noch erschütternder. Im Kanton Appenzell Innerrhoden wurde das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene erst 1990 per Bundesgerichtsentscheid gegen den Willen der männlichen Bevölkerung eingeführt. An der Aussage deines Beitrags ändert das natürlich nichts.
Danke für diese Ergänzung. Ich hatte schon die Zahl 1971 für erschütternd gehalten, zumal in der Schweiz. 1990 ist fast unvorstellbar für mich.
Iran hatte übrigens zu Zeiten des Shahs bereits früher als die Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt. Krass, oder?
Ich habe mich auch schon gefragt, wieso es bei Frauen unterschiedliche Reaktionen gibt, je nachdem, ob ein Mann oder eine Frau spricht. Meiner Beobachtung nach sind Frauen bei Männern cooler, bei Frauen mehr auf der Hut. Bei meiner Oma- klar- waren Männer immer wichtiger. Wann ändern sich die Gewohnheiten?
Ja, diese letzte Frage ist genau die Frage. Und irgendwie fällt es mir so schwer das hinzunehmen, (aber auch es überhaupt zu begreifen) dass Frauen immer noch das „andere“, „zweite“, irgendwie rechtfertigungsbedürftige Geschlecht sind. Das es immer noch keine Menschen gibt, sondern Frauen und Männer.
Auf die Fortsetzung bin ich sehr gespannt.
Die Einschätzung im letzten Satz des Kommentars teile ich dagegen nicht: Mich stimmt es froh, dass es „immer noch keine Menschen gibt, sondern Frauen und Männer“. Denn mein Frau-Sein erfahre ich als Potential, mindestens ebenso sehr wie als Beschränkung. Ich möchte keine Gleichheit (auch nicht unter den Frauen) erreichen, sondern eine Form, mit der Vielfalt umzugehen, die nicht das Andere abwerten muss, um sich selbst wertschätzen zu können.
Aus der Geschichte können wir uns nicht katapultieren. Die Vorstellungen einer patriarchalischen Gesellschaft, die das „Weibliche“ abgewertet hat, sind uns allen tief eingeschrieben. Sie veranlassen auch viele Frauen dazu, ihr „Weibliches“ gering zu schätzen und sich selbst nur da „ernst“ zu nehmen, wo sie den Kategorien dieses Denkens entsprechen. Umgekehrt enteignet dieses Denken bis heute viele Männer noch viel krasser von ihren weiblichen Anteilen. Denn während Frau sich aufwerten können, in dem sie ihren „männlichen Anteil“ entdecken (sich in Werken verwirklichen, entlohnte Arbeit, Härte, Durchsetzungsfähigkeit, Hosen 😉 ), ist „Verweiblichung“ (Nähe zulassen, Reproduktionsarbeit, kommunikativ und kompromissbereit sein, Röcke 😉 ) für Männer immer mit Abwertung verbunden. Es geht also weniger darum, dass Männer und Frauen „Menschen“ werden können, sondern das sie je individuell ihre Weiblichkeit und Männlichkeit verwirklichen können.
In der historischen Phase, in der wir uns befinden, denke ich, ist es immer noch nötig, dem „Weiblichen“ Wert beizumessen, es sichtbar zu machen und die „partriarchalischen“ Werte von Grund auf in Frage zu stellen. Zum Beispiel, indem Gartengestaltung, Handarbeit und Kochen als Kunstformen anerkannt werden, die der „hohen“ Kunst in nichts nachstehen. Aber auch, indem wir Vorgängerinnen wieder entdecken, die eine andere Form des Schreibens und Malens praktiziert haben, die eben nicht in den Kanon des Patriarchats aufgenommen wurden. usw. usw. 😉 :-).
Genau so, liebe Melusine, habe ich es ja gemeint, dies Menschsein, das Unterschiede nicht nur zulässt sondern schätzt, aber daraus eben keine Machtverhältnisse ableitet, sondern tatsächlich gleiche Rechte.
Auf die Fortsetzung bin ich selbst gespannt 😉
Ich glaube, es gibt einen, jetzt, wo du fragst. Wenn Frauen sich sicher fühlen und wenig bedroht, dann können sie andere Frauen mit einem Gefühl, das mehr als Freundschaft ist, ansehen. Einer Mischung aus inniger Zuneigung, Freundschaft und auch erotischer Anziehung. Nicht im Sinne hitziger, körperlicher Anziehung, sondern der Anziehung von tiefen Seen und Emotionen, von Geheimnissen, vom Entdecken des Wesens der erotischen Macht und Mutter. Ich kann es einfach nicht erklären. Frauen sind für mich unergründlich, weil sie so vieles zu verdecken lernen mussten, und weil sie einen Weg finden mussten, zu überleben, ohne negativ aufzufallen, weil sie Macht ausüben mussten, ohne offiziell das Zepter in der Hand zu halten – und noch sovieles mehr.
Ganz wundervoll deine Fragen.
Deine Kommentare aber auch 🙂
du hattest mich auf das buch neugierig gemacht – heute ist es gekommen – ich bin ganz gespannt – werde es nachher in ruhe ansehen!
schon das zweite, oder? Hast du das von August Sander denn schließlich noch bekommen?
ja, ich hab die „linzer jahre “ erstanden – ein tolles porträt. ..