Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, habe ich via multiplyme eine wunderbare Band entdeckt.
Die ständig geöffneten Fenster im Sommer.
Wie das Leben der anderen immer wieder in mein Zimmer schwappt.
Am Ende der Straße malt eine Frau die letzten Zeichen auf das extravagante Haus, während nur wenige Schritte weiter ein Mann und eine Frau einen Teppich auszuschütteln, und dann ihre Hände als Teppichklopfer benutzen.
Ich habe in jeder Hand eine Tasche und obwohl ich es nicht eilig habe, gehe ich schnell.
Ich bin erzogen worden, d.h. ich hing an einem Strick und nichts blieb mir übrig, als ihn zu zertrennen, damit ich weiter atmen konnte. Der Strick, an dem gezogen wurde, um mich zu richten, einzurichten (gemütlich) und auszurichten (auf Erfolg in der Welt), nahm mir weit mehr als die Luft zum Atmen. Er nahm mir die Lust.
Ich fand mich ein. Das heißt ich ging verloren in einer Betrachtung. Die Offenheit einer Ruine. Mein mangelnder Verstand. Ich bin ein Betrachter. Das ist die Verwertung der Dinge. Man wählt mich aus. Etwas sieht mich an und ich blicke zurück. Das ist Vorausschau. Das ist ein falscher Satz. Hier greift die Zensur. Greifen Sie zu, oder warten Sie auf den Sommerschlussverkauf. Auch wenn die Sonne sich weigert zu strahlen, werden wir uns die Sicht mit bunten Luftballons verhängen. Verhageln. Bitte wählen Sie aus. Wir haben keine Wahl. Wer sich nicht entscheidet, bleibt auf der Strecke, das heißt stehen. Stillstand ist der Fortschritt der Vorsichtigen. Die Übersicht verhindert den Schritt und wer zurück sieht, der stolpert. Wir legen uns Steine in den Weg und nennen sie Brücken. Auf die Benennung kommt es an. Das Folgende ist ein Schritt. Die Richtung gibt an. Einer legt vor. Wir folgen. Ohne zu wissen. Wissen heißt Auswahl. Ent-Scheidung. Das ist endgültig und zu wenig schnell. Wir haben keine Zeit, zu wählen. Das ist das Wesen der Oberflächlichkeit. Sie ernährt sich von der Zeit, die niemand hat. So errichtet man Denkgebäude, hinter denen sich die Leere verbirgt.
Die Seiten bleiben leer. Scheinbar. Tatsächlich füllen sie sich mit Leere.
Was ist eine Tatsache und was unterscheidet den Schwindel von der Lüge? Der unterlegene Unterschied. Darunter liegt der Abgrund. Die Unzweifelhaftigkeit endlos verzweigter Wege. El camino.
Ich übersetze ein Gedicht. Ich setze etwas über das Gedicht. Meine Sprache über die Sprache des Originals.
Wenn nichts mehr voran geht, kommt die Aggression. Kleine Gereiztheiten, die zu größeren Verletzungen führen.
Der Himmel wolkenlos.
Merkwürdige Sparmaßnahmen, als käme nach dem Leben noch ein Leben. Nach dem Aushalten, das was uns Halt gibt.
Ich verstand weniger als die Hälfte. Über allem lag die Wahrnehmung von Verfall. Grünliche Augäpfel. Ein Freund hat mir einmal einen Mondstein geschenkt. Im übrigen waren wir gänzlich unromantisch.
Er schrieb. Dann schrieb er nicht mehr. Die Zeit ging über alles hinweg.
Igor Samoljenko schreibt die Nacht trägt ein Ministrantengesicht mit dem Mond als weit aufgerissenen Mund. Viele Menschen verstehen russisch. Es gab die DDR. So lange ist das alles noch nicht her. Für mich. Für andere (meine Kinder) ist das ein anderes Zeitalter.
Wir bewahren uns die Naivität und probieren wie ihr Falten stehen. Wir finden uns ab. Abfindung.
Während wir innerlich protestieren und aufbegehren. Wen außer uns selbst soll das interessieren? Die Sprache nimmt es hin. Hinnahme. Abfindung. Ein Dichter liest aus seinem leeren Tagebuch. Tiefe und Fülle und die Schönheit des Schmerzes. Er ist verloren und einsam und darum sind seine Worte schmerzhaft schön. Fast hätte niemand die Worte zu lesen bekommen. Ich weiß nicht, wie es dazu kam. Ich weiß nicht, wer dieser Igor war.
Wie kann ein Tag Alltag sein, wenn die Stunden gezählt sind. Das Schönste sind die frühen Morgenstunden. Ich allein in der Küche mit dem anbrechenden Tag.
Wo ist das Ministrantengesicht der Nacht und was verbirgt der mittlerweile geschlossene Mund?
Warum fällt mir Beschränkung so schwer. Und Schweigen. Abwesenheit. In eine wohltuende Abwesenheit rutschen. Gleiten. Nein wachsen und dann tot sein, ohne zu sterben.
Der Kopf meiner Mutter war blutverschmiert. Obwohl niemand sie mehr retten konnte, untersagte man mir, ihren Kopf zu streicheln. Erst Wochen später erwachte ich aus diesem Albtraum, nur um in einem anderen Albtraum zu erwachen.
Ich bin die Lücke zwischen Verachtung und Verrat.
Vor dem Fenster ein Vogel, der Weltmeister werden will.
„Bleib ruhig, komm runter, atme tief durch und bleib auf dem Boden“, rate ich ihm.
„Damit die Katze mich besser kriegt? Für wie dumm hältst du mich?“, antwortet er und pickt mir im Sturzflug ein Auge aus. Mit dem anderen kann ich sehen, wie es funkelt, wie sich die Sonne in der Iris bricht und der Vogel verschwindet. Einfach so, immer tiefer in diesen verflucht blauen Himmel.
„Glasauge, Holzbein, das hast du nun davon, dass du aller Welt ungebeten Ratschläge erteilst“, mault meine Mutter.
Ich schließe die Tür und schreie aus dem Fenster in den Hinterhof, dass es ganz einfach ist, aus dem Schaden anderer klug zu werden.
Da ist die Elster, hat ihr Nest auf unserem Schornstein gesetzt, mit Augen ausgepolstert.
„Schon mal was von Ausdauer gehört?“, zwitschert sie unschuldig. Und ich schlage das Fenster zu, dass es splittert.
„Deine Eier schieß ich kaputt“, verspreche ich ihr, und fange gleich an aus meinem Holzbein Schleudern zu schnitzen. Als Gummiband nehme ich meine Haare und der Elster schwöre ich, dass ich mein zweites Auge opfere, um auf sie zu zielen.
„Womit willst du denn zielen ohne Augen?“, lacht sie.
Und ich sage: „Still. Da draußen geht gerade etwas kaputt.“
„Das ist doch nur dein Vater“, sagt sie und ist schon wieder verschwunden.
Die Winterreise ist ein Zyklus, der mich nicht loslässt.
Gedichtet von Wilhelm Müller, der die Vertonung durch Schubert nicht mehr erleben sollte, in unzähligen Adaptionen bearbeitet, hat mich der Film „Die Winterreise“ von Hans Steinbichler mit Josef Bierbichler fasziniert, was beinahe ganz allein Bierbichler geschafft hat, der selbst ein Lied aus der Winterreise singt.
Der Leiermann macht mir jedes Mal Gänsehaut. Und obwohl Fischer-Dieskau der größte Sänger sein mag, packt mich Bierbichlers Interpretation fast noch mehr.
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