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„Dali ging in seiner Verfolgung der Suggestion des Unbewußten so weit, daß er seine Staffelei am Fuß des Bettes aufstellt, damit er sich vor dem Einschlafen auf das unvollendete Bild konzentrieren konnte, um seine Träume in die Richtung seiner Entwicklung zu lenken. Zu anderen Zeiten „wartete ich stundenlang auf solche Eingebungen. Dann verharrte ich ohne zu malen in großer Spannung…“; oder er versuchte mit allen Mitteln, Wahnsinn zu simulieren.“

Aus einem Buch des Taschen Verlags über Salvador Dalí herausgesucht, weil ein Kollege mich kürzlich an ihn erinnerte. Bzw. die Art, wie seine Gedichte traumhaft surreal Worte aneinander fügen, wie weit er sich scheinbar von jeglicher Realität löst, von jedem Impuls und Anlass, vielleicht sogar von jeder Art von Sinn, um dann, sobald man sich etwas länger, offener damit beschäftigt, eine erstaunliche und irgendwie tiefere Perspektive zu eröffnen.

Überhaupt bin ich gerade umgeben von Bildern, die letzten Artikel, die ich geschrieben habe, waren solche über „Fensterausstellungen“, das einzige, was derzeit möglich ist, wenn man als Künstlerin im Analogen bleiben will. Außerdem bin ich mit einer Fotokünstlerin ins Gespräch gekommen, und nicht zuletzt kam vor einigen Tagen „I love Women in Art“ von Bianca Kennedy und Janine Mackenroth hier an. Beim Durchblättern bin ich sofort bei der aufsehenerregenden Arbeit von Heji Shin hängen geblieben, darüber vielleicht morgen mehr.

Ich glaube ja nicht an Zufälle, und die Sache mit den Bildern ist sehr leicht zu erklären, weil ich mich seit Monaten mit einem Bild beschäftige, über das ich etwas schreiben soll und möchte. Die Tatsache, dass es ein dermaßen beeindruckendes, aber gleichzeitig unerschöpfliches Werk ist, und dass das Projekt schön und wichtig ist, macht es mir vielleicht schwerer als nötig. Weil ich dann wieder so hinderliche Dinge denke, wie dass ich es sehr sehr gut machen muss, dass ich auf keinen Fall das Ganze durch meine minderwertige Arbeit vermasseln darf, dass es ohnehin ein Irrtum ist, dass ausgerechnet ich dazu eingeladen worden bin, dass die Initiatoren, sobald ich etwas eingeschickt habe, die Hände über den Kopf zusammenschlagen werden. Und da kommt der Verweis, die Erinnerung an Dali sehr recht, weil es eine Möglichkeit darstellt, dieses dämliche Ego zu überlisten, und sich stattdessen auf die erstaunliche Kraft des Unbewussten zu besinnen.

Dualität

Koen Wessing , Nicaragua 1979
Koen Wessing , Nicaragua 1979

Lange schon liegt Roland Barthes auf dem Nachttisch, und immer wieder blättere ich darin und lasse mich mitnehmen von seinen Gedanken und Überlegungen. Dass dieses Buch überhaupt zu mir gefunden hat, oder besser gesagt, ich zu ihm, diesen Umstand verdanke ich Pagophila, deren Eintragungen zu „Die helle Kammer“ mich immer wieder fasziniert haben.

Barthes spricht in seinen Bemerkungen zur Photographie vom „Abenteuer“ des Fotos. Weil ich gerade erst über Fragen nachgedacht habe, und immer noch darüber nachdenke (nur nicht mehr ganz so ratlos, dank der vielen klugen Bemerkungen, die mir einige meiner Leser geschenkt haben), überlege ich, ob mich ein Foto vielleicht genau dann anspricht, wenn es mich dazu bringt, Fragen zu stellen, mich auf diese Art, also mit einer zielgerichteten Neugier, darauf einzulassen.

 

Aber worüber ich eigentlich schreiben wollte, ist der Begriff der „Dualität“, von der Barthes bei den Fotos von Koen Wessing spricht. Diese Dualität durchbricht laut Barthes die Gleichgültigkeit, das unbeteiligte Interesse an Bildern, die lediglich wahrgenommen werden, ohne den Betrachter wirklich zu berühren.

[Das Prinzip der Dualität spiegelt sich nicht zuletzt im Titel, den Barthes seinen Betrachtungen zur Photographie gegeben hat. Die helle Kammer, da ist das Licht angesprochen, das alles groß macht und dem Blick öffnet, dagegen die Kammer, die für einen geschützten Raum steht, aber auch für eine gewisse Beengung, Einschränkung)

 

Barthes schreibt: „Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft).“

Diese Verwundung ist es, die die Begrenztheit unserer Perspektive, unseres Lebens weitet, erhellt. Das klingt jetzt pathetisch und vielleicht auch noch etwas kryptisch, aber ich habe vor, an dieser Stelle weiterzumachen, weiterzudenken und zu schreiben.

 

Ellen Auerbach

Ich habe in der Fotografie auszudrücken versucht, was ich gern mit allem, das ich tue, ausdrücken möchte. Das Bild soll andeuten, was über seinen Inhalt geht. Den göttlichen Grund, würde Meister Eckhart sagen. Die Schönheit eines „häßlichen“ Gesichts. Die Essenz der Dinge … Ich möchte, dass in den unscheinbarsten, gewöhnlichsten, ärmlichsten Themen die Würde und darunterliegende Hoffnung durchschimmert. [Ellen Auerbach, 1985]

 

Nähseide, um 1930 - Ellen Auerbach
Nähseide, um 1930 – Ellen Auerbach

Lokomotive

Lokomotive
Lokomotive

Ich dachte an ein Kartenspiel vor vielen Jahren. Vor so vielen Jahren, dass ich mir nicht einmal sicher war, ob ich mich an etwas erinnerte, das ich erlebt hatte, oder ob ich mich nur an einen Traum, oder an eine Vorstellung erinnerte. Es ließ sich ohnehin auf ein einziges Wort reduzieren: Lokomotive.

Als ich das Mädchen, das nachmittagelang auf mich aufpasste, fragte, was das Wort bedeutet, sagte sie, um einen Spaß zu machen, oder vielleicht auch, weil sie selbst es glaubte: „Der Ort, wo die Motive her kommen, als die Gründe, warum man etwas tut.“

Was ich so verstand, dass es die Heimat der Wünsche war. So etwas, wie eine nicht ganz so grazile und bewegliche Fee. Das männliche Gegenstück vielleicht.

Wer hat an der Uhr gedreht

Vor ein paar Tagen, als die Welt noch grau war, und es aussah als könnte der Himmel gar nicht mehr blau werden, habe ich diese Fotos gemacht,  und die Zeit vergeht einfach so, ohne dass ich dazu gekommen bin, viele davon zu präsentieren. Weil der Himmel jetzt wieder blau ist, weil unglaubliche Nachrichten eintreffen, weil Olga Martynovas zweiter Roman noch schöner als der erste ist, weil das Leben einfach immer weiter geht.

Um die Zukunft dieses Blogs muss ich mir derzeit also keine Gedanken machen. Eher, wieder einmal, um die Zeit…

Wer hat an der Uhr gedreht?
Wer hat an der Uhr gedreht?

Bahnhof Brackwede

Oder vom Reiz häßlicher Orte

Bahnsteig Brackwede Bahnhof
Bahnsteig Brackwede Bahnhof

Gestern, oder vorgestern habe ich gelesen, dass es seit über vierzig Jahren keinen so sonnenarmen Winter mehr gegeben hat, wie diesen. Andererseits war ich auch tief beeindruckt von dem Film über einen blinden Fotografen, auf den Iris kürzlich aufmerksam gemacht hat. Also habe ich mir meine Kamera geschnappt und bin an triste, traurige und häßliche Orte gegangen, die mich mit viel unerwarteter Schönheit belohnt haben.